Warum Manufakturen in Zukunft noch wichtiger werden – und wie uns die echten Dinge des Lebens verändern
Alexandra Hildebrandt erwähnt "Business-Romantiker" in ihrem Beitrag für die Huffington Post
Begreifen, was uns ergreift
Handwerklich hergestellte Produkte und die Verwendung traditioneller Materialien sind heute beliebter denn je. Sie stellen als wertvolles Kulturgut eine nachhaltige Alternative zum schnellen Konsum und zur Welt der Massenprodukte dar. Gerade in krisenhaften Zeiten ist die emotionale Bindung an nicht kopierbare und konkurrenzlose Dinge, die mit den eigenen Händen zusammengefügt wurden, besonders ausgeprägt.
Das bestätigen auch die Beispiele im „Deutschen Manufakturenführer 2015″ (Fachverlag Deutsche Standards): „Viele Menschen sind immer gleiche und qualitativunüberprüfbare Produkte unbekannter Herkunft leid”, sagt Herausgeber Olaf Salié.
Bereits in den 1980er Jahren verwies der Philosoph Hermann Lübbe darauf, dass durch die hohe Zivilisationsdynamik die Relevanz der Vergangenheit abnimmt, während gleichzeitig die Sicherheit von Zukunftsprognosen schrumpft und die Menschen verunsichert.
Die Dritten Orte, die heute immer wichtiger werden, weil sie die letzten Oasen außergewöhnlicher Erfahrungen und des selbstbestimmten Lebens sind, spielen hier ebenfalls schon hinein: Lübbe schrieb, dass immer mehr Museen entstehen, um als Gegenpol zum immer schneller werdenden technischen Fortschritt ein Rest an Vertrautheit zu vermitteln. Hier werden Träume, Sehnsüchte und Hoffnungen geschützt und Zeit in Raum verwandelt.
Auf den Aufstieg alles traditionell und handwerklich Gemachten verweist auch der Marketingexperte Tim Leberecht in seinem Buch „Business-Romantiker” (Droemer 2015) – sie liegt auch dem Maker Movement zugrunde. In allen Fällen steht der Drang „nach einer ganz handfesten Erfahrung von Arbeit”, die die Entfremdung „zwischen dem Hersteller und seinem Produkt überwindet”.
Die Kunst des Wohnens
Auch das Zuhause ist ein Dritter Ort, an dem nichts scheint, sondern (vertraut) ist. „Authentizität und Individualität sind neben Qualität, Werthaltigkeit und Nachhaltigkeit die gewünschten Ziele für das Bedürfnis nach Privacy im Wohn-/Lebensraum”, bestätigt Ute Hartmann, Geschäftsführerin und Gründerin von contact to design – MÜNCH Furniture Design.
Neben der Möbelmanufaktur und Schreinerei betreibt das Unternehmen ein international tätiges Planungsbüro, das Kunden aus dem privaten und gewerblichen Bereich bei der Realisierung ausgefallener Raumkonzepte und Inneneinrichtungen berät und begleitet. Alle im Team verstehen ihr Handwerk als Kunst.
Aber auch Kooperationspartner wie der Neuenkirchener Bernd Lehmann, der exklusiv Radierungen, Gouachen und Illustrationen fertigt und seit 1996 im internationalen Kunsthaus ARTES vertreten ist, gehören dazu. „Perfektes handwerkliches Können, gepaart mit großem Einfühlungsvermögen in Art und Charakter der Dinge und Menschen, die er abbildet, geben seinen Darstellungen etwas einmalig Authentisches”, heißt es auf seiner Website.
Für die Fertigung der Designstücke und Möbel-Kunstwerke wird bei contact to design ausschließlich Holz aus nachhaltigem Anbau verwendet, für das der Nachweis des Herkunftslandes jederzeit erbracht werden kann.
Nur etablierte Marken wehren sich auf Dauer mit Erfolg gegen Angriffe aus Billiglohnländern, sagt die Geschäftsführerin: „Wir sollten mehr über die Ziele, Werte und Inhalte einer Marke als über deren Produktangebot und dem daraus resultierenden Produktnutzen sprechen.”
Manufakturen und ihre Artefakte gehören selbst zu den Dritten Orten, weil sie Identität stiften und uns etwas über uns selbst erzählen. Hier lassen sich Antworten auf die Kernfragen des Lebens finden: warum, wie und was. Sie geben Orientierung, schärfen die eigene Wahrnehmung und Urteilsfähigkeit, zeigen das Machbare in der Gegenwart, aber auch Wege in eine bessere Zukunft.
In bester Gesellschaft
Die Arbeit von Manufakturen, die für Tradition, Können und Kreativität stehen, wird von vielen Menschen wieder wertgeschätzt. Dahinter steckt nicht nur ein Trend, der Wesentliches über unsere Gesellschaft aussagt, sondern auch Einsicht in die Notwendigkeit, dass wir nur eine Zukunft haben, wenn wir sie selbst gestalten.
Dazu brauchen wir eine greifbare Identität zu allem, was uns umgibt und einen unmittelbaren Bezug zur Natur. Für die Trendforscherin Lidewij „Li” Edelkoort ist dies Grundvoraussetzung für unser Überleben in einer immer brüchiger werden Gesellschaft: „Wir werden begreifen, dass wir gegenlenken müssen.” (FOCUS 16/2015)
Wie das geht, zeigen vor allem viele kleine Initiativen, von denen eine enorme Kraft ausgeht. Sie sind dort, wo sich Menschen physisch begegnen und miteinander ins Gespräch kommen. Sie sind analog zusammen statt virtuell allein. Jedes Gespräch führt dazu, Menschen von den Gedanken Anderer berührt werden und sie ihrerseits mit Gedanken berühren.
Ein schönes Beispiel dafür sind die von Julia Kalmund und Nina Schmid initiierten und organisierten Dialoge von Street Philosophy in der “Josef Bar” an der Klenzestraße in München.
In kleinen Gruppen werden hier neuerdings auch Workshops mit Experten zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen durchgeführt, konkrete Lösungsansätze und Werkzeuge für die jeweiligen Fragestellungen erarbeitet – philosophisch fundiert und lebensnah in der Umsetzung.
Den Auftakt der Veranstaltungsserie bildete am 21.April 2015 der Workshop„Nachhaltigkeit – endlich anfangen!”. Ihr persönliches Verständnis von Nachhaltigkeit haben die TeilnehmerInnen vor allem mit Begriffen verbunden, die auch im Blog der Huffington Post eine wichtige Rolle spielen.
Es war erstaunlich zu sehen, wie das in der digitalen Welt Beschriebene sich in der analogen Welt findet: u. a. Lebenskunst, Verantwortung, Ordnung, Neugier, Überraschungen, Genuss, Schlaf, Energie, Familie und Freundschaft.
Alle Gespräche finden an einem großen Holztisch statt, an dem auch gemeinsam gegessen wird. „Die besten Dinge im Leben geschehen bei Tisch”, zitiert auch Tim Leberecht in seinem Buch. Die Erfahrung, dass sich Fremde hier kennenlernen, locker moderiert („aber gut vorbereitet und kuratiert”), kann seiner Ansicht nach der perfekte Katalysator sein für transformative Erfahrungen.
Bei Street Philosophy wird bereits gelebt, was Lidewij „Li” Edelkoort kürzlich voraussagte: dass wir uns in Zukunft wieder um große Tische versammeln werden. In ihren Ausstellungen sind ebenfalls große Tische aus hellem Holz zu sehen, „an denen man einfach gut zusammensitzen kann”. Der Individualismus ist nach Ansicht der Trendforscherin vorbei: „Wir finden zu einer Gesellschaft zurück, die teilt.”
Lebensart und Lebensdinge
Ein Blick in die Sortimente von nachhaltigen Anbietern wie Grüne Erde oder memo bestätigt das: So sind im memolife Katalog und Online-Shop u. a. große helle Tische aus atmungsaktivem Massivholz (Buche natur, Kernbuche oder Wildeiche) zu finden, dazu weiteres Mobiliar fürs Esszimmer – mit dem Vermerk: „handwerklich hergestellt in Europa”.
Genauso wichtig wie der Tisch sind für die Trendforscherin auch künftig „Matratzen, weil wir uns immer wieder hinlegen werden. Puffs, Kissen, Teppiche und kleine transportable Möbel” (FOCUS 16/2015). Auch diesbezüglich finden sich die entsprechenden „nachhaltigen” Belege im genannten Katalog: baumwollbezogene Matratzen aus hochwertigem Naturlatex.
Das verwendete Massivholz der Schlafzimmermöbel stammt aus nachhaltiger europäischer Forstwirtschaft. Die handwerkliche Herstellung erfolgt in einer kleinen Manufaktur in Europa. Ein Schlafsystem mit dem Namen „Carum” wurde beispielsweise in handwerklicher Traditionsarbeit in Bayern gefertigt. Der komplette Produktionsprozess ist GOTS-zertifiziert.
Neu im Sortiment für Privatkunden sind Wohn- und vor allem Schlafmöbel, sagt Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei memo: „Neben der Langlebigkeit ist hierbei auch das Thema Gesundheit wichtig, also Möbel, die für ein gesundes Wohnklima sorgen und z.B. Schlafdecken oder auch Teppiche aus natürlichen Materialien.”
Bezüge und Überdecken im Schlafbereich sind vor allem Weiß und Gelb. Das bestätigt eine weitere Voraussage von Lidewij „Li” Edelkoort: „Wir befinden uns jetzt im vierten Jahr von Gelb. Das bedeutet, dass wir weitere 15 bis 20 gelbe Jahre vor uns haben. Gelb symbolisiert die Sonne und den Mond. Es ist eine Quelle der Energie und des Optimismus.”
Schwarz wird es nach Ansicht der Trendexpertin in Zukunft schwer haben, weil es mit Bedrohung und Verbrechen assoziiert wird. In Zukunft werden Erdtöne – Braun bis Ocker – eine große Rolle spielen, was die Produktangebote rund um das nachhaltige Leben wiederum bestätigen. So heißt es in der Beschreibung eines Schorwollteppichs (memolife): „dick, wollig-weich, in natürlichen Tönen”.
Die Vertrautheit mit der Natur macht auch das gestaltete Dasein in einer Wohnung aus, die nicht aufgrund von vier Wänden zu einem Lebensraum wird, sondern aufgrund von Gewohnheiten und uns umgebenden Dingen. Um sie wertschätzen zu können, braucht es einen „analogen” Verstand und ein lebendiges Herz. Und das Berührende, das von handwerklich gefertigten Produkten ausgeht.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Huffington Post.