„Aufpassen, das Fühlen nicht zu verlernen“
Wohin führt der Siegeszug der künstlichen Intelligenz? Und was macht dann noch den Menschen aus? Bestseller-Autor Tim Leberecht empfiehlt Managern, im Zeitalter denkender Roboter nicht allein auf Vernunft zu setzen.
Herr Leberecht, Sie sind ein viel gefragter Redner, haben mit Ihrem Buch „Business-Romantiker“ offenbar einen Nerv getroffen. Wie erklären Sie sich in Zeiten des digitalen Wandels das Verlangen von Managern nach mehr Menschlichkeit?
Tim Leberecht: Ich stelle tatsächlich bei meinen Zuhörern einen großen Bedarf nach Orientierung, neuen Ideen und auch nach mehr Menschlichkeit fest. Wenn ich radikal andere Richtungen präsentiere, die sich gegen die Glorifizierung des Silicon Valley und die Digitalisierungsmodelle richten, merke ich förmlich, wie die Leute beruhigt durchatmen. Bei Themen wie künstlicher Intelligenz und exponentiellen Technologien geht es ans Eingemachte. Wir fragen uns: Was bedeutet es überhaupt noch, Mensch zu sein? Wie handlungsfähig sind wir? Ich registriere in der derzeitigen Transformationsphase eine große Offenheit für meine Thesen. Die Resonanz war kurz nachdem ich das Buch 2015 veröffentlich hatte noch nicht so groß wie jetzt.
Nimmt die Technokratie- und Datengläubigkeit der Menschen ab?
Tim Leberecht: Es gibt eine große Silicon-Valley-Müdigkeit, die auch mit dem Verlust der Vorbildrolle der Vereinigten Staaten allgemein zusammenhängt. Es gibt heute viel mehr „erleuchtete Digitalisierung“ als noch vor drei Jahren. Europa besinnt sich auf sein humanistisches Erbe.
Dabei haben Computersysteme, die mit künstlicher Intelligenz funktionieren, niedliche Namen wie Alexa, Siri oder Watson. Was macht sie so gefährlich?
Tim Leberecht: Es besteht kein Zweifel daran, dass Roboter das Denken erlernen. Es ist der Mensch, der aufpassen muss, nicht das Fühlen zu verlernen. Es gibt eine spannende Parallele zwischen der Ära der Romantik und der Aufklärung des 18. Jahrhundert und der Zeit, in der wir jetzt leben. Heute vertrauen wir teilweise blind digitalen Technologien. Sie gelten vielen als einzige Wahrheit. Sie dienen aber primär dazu, Effizienz zu steigern. Die Gefahr besteht darin, dass wir versuchen, den Maschinen immer ähnlicher zu werden und das Primat der Effizienzsteigerung auf alle Lebensbereich zu übertragen: auf das Beziehungsmanagement genauso wie auf unser Fitnessprogramm. Als Romantiker halte ich dem entgegen, dass nicht alles Wertvolle gemessen werden kann. Es gibt immer auch eine andere Tür, die sich öffnet.
Wohin öffnet sie sich?
Tim Leberecht: In eine romantische Welt! Ich sage: Wir können nicht nur unserer Vernunft vertrauen und empirischen Ergebnissen. Emotionalität muss sich nicht zwangsläufig in Produktivität niederschlagen. Wir müssen mehr Entscheidungen intuitiv treffen. Wir dürfen auch mal verletzlich sein. Nur so entscheiden wir uns von Maschinen.
Wir müssen umso menschlicher werden, je perfekter die Maschinen unsere Aufgaben übernehmen?
Tim Leberecht: Menschlichkeit wird zu einem immer größeren Unterscheidungsmerkmal, gerade in Zeiten von künstlicher Intelligenz.
Macht Ihnen Künstliche Intelligenz Angst?
Tim Leberecht: Künstliche Intelligenz geht inzwischen weit über das Analytische hinaus. Sie kann Probleme lösen und in komplexen Spielen wie Go und Schach menschliche Genies besiegen. Menschen können sich bald sogar in Maschinen verlieben wie im Spielfilm „Her“. Künstliche Intelligenz kann kreativ sein, wie bereits im Produktdesign oder in der Architektur, oder ein Musikstück komponieren. Sie kann Schönheit produzieren und Formen schaffen, die wir als schön empfinden. Aber sie kann nicht unser Leben leben. Sie kann nicht unser Leben schöner machen, mit Hingabe und Leidenschaft, mit einer Wertschätzung für das Unsichtbare in einem Produkt.
Was hat KI für Auswirkungen auf die Berufswelt?
Tim Leberecht: Es wird nicht unbedingt quantitativ mehr Jobs gehen, die darauf abstellen, Dinge schön zu machen. Es wird aber Menschlichkeit im wirtschaftlichen Kontext aufgewertet werden. Die Wertschöpfung wird sich verschieben. Psychologen, Philosophen, Drehbuchautoren werden wertvoller. Alle jene Berufe, die sich um Mehrdeutigkeit und Intimität drehen, haben eine Zukunft.
Ist das nicht eine allzu rosarote und romantische Sicht auf die Dinge?
Tim Leberecht: Ich saß neulich mit dem Chairman einer großen Bank zusammen, der mir sagte, dass wir keine Entscheidungen mehr treffen sollten ohne Philosophen, Denker und Künstler. Die hätten wir viel zu lang links liegen gelassen.
Aber nur Romantik bringt uns nicht weiter.
Tim Leberecht: Ich will keine Welt, die von A bis Z romantisch ist. Aber ich will eine Gegenwelt schaffen, die uns hilft, uns dem Datenreduktionismus zu verweigern.
Eine gängige Meinung von Thought Leadership ist, dass es für eine Führungskraft nicht mehr so wichtig sei, Wissen anzuhäufen, sondern vor allem Inspirationsquelle zu sein.
Tim Leberecht: Ganz richtig: Herrschaftswissen ist in der Cloud, jederzeit abrufbar, auch maschinell. Das Wichtigste für einen Chef ist, das Gespür zur Anwendung des Wissens zu haben. Man inspiriert immer dann am besten, wenn man fehlerhaft und verletzlich ist, gerade auch inmitten einer Krise – und nicht, wenn man etwas Schablonenhaftes herunterbetet.
Inspiration scheint gerade den Millennials, die jetzt auf den Arbeitsmarkt drängen, wichtig zu sein. Wie gewinne ich als Unternehmer den „War for Talents“?
Tim Leberecht: Millennials legen Wert auf Flexibilität. Sie wollen identitätsübergreifende Rollen in der Arbeitswelt bekleiden: vier Wochen Projektmanager sein, danach drei Wochen Strategieberater. Junge Mitarbeiter wollen sich nicht einengen lassen und diese Freiräume auch in der Unternehmensstruktur gespiegelt sehen. Ein zweites großes Motiv wird Commitment sein, denn der Romantiker findet nicht nur ein flüchtiges Abenteuer erstrebenswert, sondern etwas Dauerhaftes. Und als moderner Unternehmer muss ich mich fragen, wie ich meine Mitarbeiter zu etwas „committe“. Damit meine ich nicht, dass Mitarbeiter lebenslang an das Unternehmen binden sollen. Aber sie müssen heutzutage von der Mission ihres Arbeitgebers überzeugt sein. Erst dann sind sie imstande, Herausragendes zu leisten.
Wie gelingt mir das als Chef?
Tim Leberecht: Über drei Ebenen: 1. Vision. Ich muss wissen, wofür das Unternehmen steht. Wenn ein Airbnb-Mitarbeiter nicht wirklich daran glaubt, dass die Welt durch Airbnb ein Stück (gast-)freundlicher wird, wird er im Job nicht überzeugend sein. 2. Storytelling. Ich muss eine Geschichte erzählen, die einen Mitarbeiter inspiriert. Paradebeispiel ist Elon Musk, der die Welt mit seinen Stories fesseln kann. 3. Rituale. Ich kenne eine Firma, die versammelt sich einmal im Jahr, um eine Botschaft für Außerirdische zu formulieren und sie dann zu einem Satelliten ins All zu schicken. Das ergibt für einen rational Denkenden keinen Sinn, aber es ist eigen und deshalb authentisch und trägt zur Stärkung der Unternehmenskultur bei.
Damit tun sich viele deutsche Unternehmen schwer.
Tim Leberecht: Das stimmt. Es muss ja auch nicht die Message an Aliens sein. Man kann auch mit einfachen Kaffeerunden um 9 Uhr morgens anfangen.
Dieses Interview erschien zunächst in Unternehmerpositionen.