Endlich Zahltag
Bedingungsloses Grundeinkommen – jetzt oder nie!
von Tim Leberecht
Es polarisiert wie kaum eine andere wirtschaftspolitische Idee. Einige halten das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) für eine nicht-finanzierbare Fantasie, um verbitterte Bürger zu befrieden, ohne wirklich ein sozial gerechteres System zu schaffen, das mehr Aufstiegsmobilität bietet. Henning Vöpel vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut nennt es eine “Stillhalteprämie am Rande des Existenzminimums“. Und die Gewerkschaften lehnen das BGE ausnahmslos ab.
Wenn aber nun selbst die Financial Times fordert, dass im Zuge der Coronaviruskrise auch „radikale Reformen“ auf den Tisch müssen, insbesondere auch das BGE, dann weiß man, dass die Stunde geschlagen hat. Als erstes europäisches Land erwägt Spanien es nun lebenslang einzuführen.
Der britische Ökonom und Mitgründer des Basic Income Earth Networks, Guy Standing, der seit Jahrzehnten für das BGE plädiert, glaubt, dass es schrittweise zu einer langfristigen europaweiten Realität werden könnte. Er ist überzeugt, dass das BGE es Menschen erlaubt, „bessere Entscheidungen treffen, weniger Stress zu haben, ihre Ausbildung zu verbessern, produktiver und kooperativer zu arbeiten, altruistischer zu handeln und toleranter gegenüber Fremden zu sein.“
Claudia Cornelsen, Mitinitiatorin von Mein Grundeinkommen, einem Verein, der in Deutschland crowdfinanzierte einjährige Grundeinkommen in Höhe von 1000 Euro monatlich verlost, berichtet von BGE-Empfängern, die dies genauso empfinden.
Der häufig wiederholte Einwand von Gegnern, dass BGE-Empfänger weniger oder gar nicht mehr arbeiten wollen, ist dabei durch diverse Studien widerlegt worden. Die Forscherin Minna Ylikännö, die ein Pilotprojekt in Finnland leitete, erzählt, dass die Testpersonen zudem ein stärkeres Vertrauen in ihre Zukunft und ihre eigenen gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten spürten. Angesichts der 30 Prozent der deutschen Bevölkerung, die sich gemäß einer jüngsten Studie der Organisation More In Common aus dem politischen Prozess ausgegrenzt fühlen, ist dies nicht unerheblich.
Das BGE kann in der Tat der Vorbote einer anderen Wirtschaft sein. Es verkörpert die Hoffnung, dass wir unsere digitale Post-Corona Gesellschaft selbst gestalten können und nicht einfach nur von der Effizienz der Maschinen, von der Logik der Märkte überrannt werden.
Es verschiebt den Fokus vom Geldverdienen-Müssen aufs „Was-will-ich-aus-meinem-Leben-Machen?“ Es stellt unser leistungsorientiertes Denken auf den Kopf, löst die Rolle von Arbeit von der Idee der Aufstiegsgesellschaft los und entwirft ein Modell von Erfolg und Wohlbefinden, das sich an nicht-materiellen Werten orientiert.
Das mag man als Resignation betrachten – oder als Anerkennung einer neuen Post-Corona Realität und den Ausdruck eines humaneren Menschenbilds.
Dieser Arikel erschien in der Juni-Ausgabe des Magazins ada.