Glotzt nicht so romantisch!
"Business-Romantiker" - das neue Buch von Tim Leberecht
“Die Wirtschaft muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder.” Dieses abgewandelte Novalis-Zitat (im Original heißt es “Welt” statt “Wirtschaft”) umreißt schwungvoll die Intention dieses Buches, das eine “subtile Revolution” anzetteln möchte – und wirtschaftliche Paradigmen auf den Kopf stellen. Tim Leberechts Business-Romantiker handelt von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben und trifft damit den Geist der Zeit. Leberecht will nicht länger hinnehmen, dass business as usual alles entzaubert, was an unseren täglichen Erlebnissen in der Ökonomie magisch und bedeutungsvoll sein kann. Ihm geht es darum, “einen romantischen Blick auf die Wirtschaft zu werfen”. Dass dieser Blick nicht analytisch-klar ist, dies gar nicht sein kann, versteht sich von selbst. Es geht um Sinn, Schönheit und Bedeutung, nicht um Zahlen, Konzepte und Modelle. Es geht um eine “Wiederverzauberung der Arbeit”, wie Holm Friebe in seiner Würdigung schreibt: “Indem Leberecht die Mohrrübe vor unserer Nase gegen die blaue Blume tauscht, trifft er den Ellennerv der Zeit.” Und setzt damit dem globalen Finanzkapitalismus eine tief aus europäischem Denken schöpfende Perspektive entgegen. Lesenswert, nicht nur für Romantiker.
Anders wirtschaften, anders arbeiten: auf Augenhöhe, ohne Anweisung und Kontrolle, sondern selbstbestimmt, kollaborativ und sinngetrieben. Ist das nicht eine zutiefst – romantische Idee? Ausdruck einer tiefen Sehnsucht? Ein Buch begibt sich auf die Suche nach den verschütteten romantischen Motiven im Wirtschaftsleben. Es wird fündig, sperrt sich aber gegen eine Verallgemeinerung. Denn Romantik ist eine Idee, die vor ihrem eigenen Erfolg geschützt werden muss.
“Sehnsucht ist ein Indiz dafür, dass es unserem Leben an etwas mangelt”, schrieb der Internet-Theoretiker David Weinberger 1999. Gemeint war: das Internet. Das leidenschaftliche Verlangen nach dem World Wide Web zeuge von einer intensiven Sehnsucht, die nur noch spirituell begründet werden könne, so Weinberger in der Buchausgabe des Cluetrain Manifest. “Wir vermissen den Klang der menschlichen Stimme.” Sehnsucht? Spiritualität? Der Internet-Prophet – ein Romantiker?
Drei Studenten brechen zu einer Weltreise auf. Ihr Ziel sind aber nicht Naturschönheiten und Touristenattraktionen, sondern Menschen. Ihre Expedition führt sie zu sozialen Entrepreneuren in aller Welt: zu Unternehmern, die mit unternehmerischen Mitteln die Probleme dieser Welt lösen wollen. Soziales Engagement statt Profitstreben. Expedition Welt heißt das 2008 erschienene Buch von Jan Holzapfel, Tim Lehmann und Matti Spiecker über ihre Expedition zu Pionieren dieses neuen unternehmerisches Selbstverständnisses. Beides – Social Entrepreneurship wie die Expedition dorthin – ein zutiefst romantisches Unterfangen?
Fünf Leute, die sich eher zufällig in einem Workshop begegnet sind, fragen sich: Kann man es sehen, wenn ein Unternehmen anders, humaner arbeitet? Ihre Antwort: Man kann – und wenn man es sehen kann, dann kann man es auch filmen. Das war die Ausgangsidee eines Projekts, das Kreise zog: ein Dokumentarfilm über Unternehmen, die eine andere Art von Zusammenarbeit pflegen. Die fünf zogen los, um sichtbar zu machen, wie diese neue Zusammenarbeit geschieht: auf Augenhöhe. Zusammenarbeit als menschliches Miteinander über Hierarchie und funktionale Differenzierung hinweg – eine romantische Idee?
Sehnsucht – das verbindende Motiv?
Diese drei Beispiele stehen für mehr, sie weisen über sich hinaus. Das Cluetrain Manifest war das bedeutendste Dokument der New Economy, diese wiederum mehr als eine Spekulationsblase, getrieben von irrationalem Überschwang und aufgebläht von den hochfliegenden Hoffnungen auf das neue Medium Internet. Die New Economy, das war auch der Wunsch, die Sehnsucht nach einer neuen, anderen Arbeitswelt, nach dem menschlichen Maß bei der Arbeit. Das Platzen der Blase und 9/11 setzten dem Traum ein jähes Ende. Doch die Sehnsucht ließ sich nicht unterkriegen. Sie erfand sich neu und zeigte sich in neuem Gewand. Ebenso wie die New Economy war die Idee, via sozial orientiertes Unternehmertum die Welt zu verbessern, Ausdruck einer tiefer gehenden Strömung. Social Entrepreneurship, Mikrokredite und Mikrofinanzierung, Corporate Social Responsibility, Stakeholder Relations, Social Business und unternehmerische Philanthropie standen für sozial geerdetes Unternehmertum, für einen sozial verantwortlichen Kapitalismus, für den Wunsch, “etwas zurückzugeben”, für die Sehnsucht nach einer nicht nur den Shareholdern, dem Kapital, verpflichteten Wirtschaftsordnung. Die Finanzkrise schrieb eine andere Agenda. Ein paar Krisen weiter hat sie sich nicht unterkriegen lassen, die Sehnsucht. Sie artikuliert sich als tiefer Wunsch nach einer anderen Art des Arbeitens: auf Augenhöhe, ohne Anweisung und Kontrolle, sondern selbstbestimmt, kollaborativ und sinngetrieben.
Drei Beispiele, eine Frage: Ist die Sehnsucht das Gemeinsame, das Verbindende dieser drei grundverschiedenen Strömungen? Mehr noch: Sind diese vielleicht sogar Ausdruck, Anzeichen einer neuen Romantik? Einer Romantik, die sich nicht der Kunst und Literatur, sondern dem Business verschrieben hat?
Tim Leberecht legt das nahe. Für ihn geht der Pendelschlag heute in dieselbe Richtung wie damals, als die Romantiker sich gegen den Rationalismus der frühindustriellen Zeit stemmten: “Wir haben all das schon einmal erlebt. Die ursprüngliche romantische Bewegung gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand in Reaktion auf die industrielle Revolution und die Aufklärung. Als das Pendel extrem in Richtung Rationalismus und Empirismus ausschlug, verlangte die Gesellschaft – besonders die Künstler und Philosophen -, dass das Pendel wieder zurückschwingen müsse. Und genau das tat es.” Nichts bleibt ohne Folgen. Jede Übersteigerung eines Motivs, jede Vereinseitigung eines Beweggrunds, jeder Schwung in eine Richtung erzeugt unweigerlich eine Gegenbewegung, einen Ausschlag des Pendels in die Gegenrichtung. Das ist beim Rocksaum nicht anders als in der Ideengeschichte. Erleben wir heute also ein abermaliges Zurückschwingen des Pendels? Nach dem Shareholder-Kapitalismus nun in Richtung Business-Romantik?
Die Welt der Wirtschaft mit neuen Augen sehen
Tim Leberechts Buch Business-Romantiker handelt von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Es artikuliert das Gefühl, “dass das business as usual alles entzaubert, was an unseren täglichen Erlebnissen im Büro im Beruf oder als Konsumenten magisch und bedeutungsvoll sein kann”. Leberecht versteht Romantik als eine Einladung, “den versteckten Reichtum in unseren Büros, Konferenzen, Messen, Läden und Beziehungen zu entdecken”. Er plädiert dafür, die anderen Seiten unserer Seele – Verletzlichkeit, Melancholie, Leiden und ein großes Verständnis für Fremde und Fremdheit, für Verrücktes und Vorübergehendes – auch im Business zur Geltung zu bringen und gelten zu lassen. Und er appelliert: “Lassen Sie uns die Welt der Wirtschaft mit neuen Augen ansehen.” Das ist ein, ja, romantisches Plädoyer für eine andere Sichtweise, für ein anderes Verständnis von Arbeit und Wirtschaft. Ein Plädoyer für mehr Leidenschaft im Berufsalltag. Für mehr Empathie, für mehr ungewöhnliche Erfahrungen und Erlebnisse.
Business-Romantiker ist in erster Person geschrieben, steht also erst einmal nur für sich und für seinen Autor: Der Business-Romantiker, das ist Tim Leberecht. Der gerade keine Theorie der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Entwicklung abliefern will. Sondern in sich hineinhört, sich in seinem Umfeld umhört und aus diesen Eindrücken und Erfahrungen schöpfend ein sehr persönliches Bekenntnis abgibt. Der von sich sagt, ein unverbesserlicher Romantiker zu sein, aber kein Tagträumer, Idealist oder Aktivist.
Ausdruck einer aufkeimenden neuen Romantik?
Und doch weist das Buch über sich hinaus. Indem es eine Interpretation anbietet, die die unterschiedlichen Initiativen, Bestrebungen, Bewegungen, die hier nur kurz und unvollständig angerissen worden sind, mit einem einheitlichen Interpretationsangebot zusammenschnürt. Tim Leberechts Buch fordert geradezu dazu auf, diesen Brückenschlag von der subjektiven Sicht des Autors zur Diagnose gesellschaftlicher Tiefenströmungen zu wagen. Zufall, Großzügigkeit, Uneindeutigkeit, Nichtwissen, Transparenz, Autonomie, Ergebnisoffenheit, Doppeldeutigkeit, Glück, Sinn, Intuition – all das sind Begriffe, um die sich Leberechts Argumentation dreht. Zugleich sind es zentrale Begriffe der Debatten der vergangenen Jahre. Gerade weil das Buch sich diese Begriffe und Diskussionsstränge zu eigen macht, wirft es diese Frage auf, nun allgemeiner: Ist der Wunsch nach einem anderen Arbeiten und Wirtschaften, sind die vielfältigen Bestrebungen, die sich darunter summieren, Ausdruck einer aufkeimenden neuen Romantik?
Ist vielleicht schon der Titel des Buches von Holm Friebe und Sascha Lobo Wir nennen es Arbeit (2006) Ausdruck romantischer Ironie, die den Schein zerreißen und zum wirklichen Bestimmungsgrund vordringen möchte? Also: Wir tun so, als würden wir arbeiten, sind eigentlich aber getrieben von etwas ganz anderem, von einer tief sitzenden Sehnsucht. Darauf könnte hindeuten, dass Friebe dem Buch von Tim Leberecht einen schönen Satz mitgegeben hat: “Indem Leberecht die Mohrrübe vor unserer Nase gegen die blaue Blume tauscht, trifft er den Ellennerv der Zeit.”
Das tut er. Wenngleich er hinter den Stand der Debatten zurückfällt. Man tut dem Buch vielleicht unrecht, das nur eine subjektive Sicht formulieren will und die Verallgemeinerung gerade nicht sucht, aber Leberecht hat kein klares Bild von einer anderen Wirtschaft. Er ist schon zufrieden, wenn sich Firmen und Produkte mit ein bisschen Zauberaura umgeben, egal wie die Organisation gebaut ist und wie welche Produkte hergestellt werden. Für ihn scheint es schon in Ordnung zu sein, wenn der Finanzchef dem Marketingleiter das Budget zusammenstreicht, sofern er dabei nur einen romantischen Blick aufsetzt. Strukturen und Formen der Zusammenarbeit, konkret Silostrukturen und Budgetfürstentümer, stellt er nicht infrage. Schade.
Eine Art romantischer Auflehnung
Anderes liest sich wiederum wie eine Art romantischer Auflehnung gegen die rationalisierten Strukturen. “Verhalten Sie sich wie ein Amateur. Wehren Sie sich gegen Konformität, und geben Sie den Querköpfen einen Ort in Ihrem Haus. Betrachten Sie die Welt durch die Augen anderer und streifen Sie ohne Landkarten herum. Geben Sie dem Zufall eine Chance.” Business-Romantiker ist nicht nur ein Plädoyer für mehr Leidenschaft im Business, es ist ein Aufruf zum Paradigmenwechsel. Es will eine stille Revolution, eine Abkehr von dem utilitaristischen, effizienzgetriebenen Wirtschaftsverständnis. Leberecht fördert verschüttete nicht rationale Motive zutage, die wirtschaftliches Handeln vielleicht immer schon bestimmt haben. Und die uns manche Gegenbewegung besser verstehen lassen.
Romantik aber ist, erklärt nicht alles. All das, was einem vereinseitigten ökonomischen Leitbild entgegengehalten wurde und wird, ist Ergebnis klarer Kritik, intensiver Debatten und solider wissenschaftlicher Forschung. So haben Psychologie, Verhaltensökonomie, Hirn- und Glücksforschung das Leitbild des Homo oeconomicus als grob fahrlässige Vereinfachung entlarvt und mitgeholfen, ein differenzierteres, komplexeres Bild des Menschen zu zeichnen. Gerade auch des wirtschaftenden Menschen. Sie haben gezeigt, dass die herrschende ökonomische Lehre der Religion näher steht als der Wissenschaft. Also: Wohin geht die Entwicklung? In Richtung einer zweiten Aufklärung (Bernhard von Mutius), die zurechtrückt, was die erste an Schieflagen hervorgebracht und hinterlassen hat? Oder in Richtung einer neuen Romantik, die wieder freilegt, was der Rationalismus verschüttet hat?
Letztlich ist das alles uneindeutig, ambivalent, unklar. Wie die Idee der Romantik selbst. Wie der hier unternommene Versuch einer Verallgemeinerung. Romantik, darauf weist Leberecht hin, sperrt sich nämlich gegen Vereinnahmung, lässt sich nicht skalieren, organisieren und operationalisieren. In diesem Sinne erweist sich ausgerechnet Bertolt Brecht als wahrer Romantiker. Er nämlich ließ dem Theaterpublikum, gerade wenn es begann, sich mit der Handlung zu identifizieren, Schilder mit Warnhinweisen vor die Nase halten. Aufschrift: “Glotzt nicht so romantisch.” Romantik ist eine Idee, die vor ihrem eigenen Erfolg geschützt werden muss.
Fazit: Wie wunderbar – ein Buch, das mehr Fragen aufwirft, als es Antworten zu geben vermag. Aber das ist vermutlich auch schon wieder ein wenig romantisch.
“Es muss neben dem Erklärbaren auch Platz für das Unerklärliche geben und Raum für das Implizite neben dem Expliziten.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
“Der veränderte Zeitgeist lässt überall neue Formen des Geschäftshandelns aufkommen.” Tim Leberecht:Business-Romantiker
“Verhalten Sie sich wie ein Amateur. Wehren Sie sich gegen Konformität, und geben Sie den Querköpfen einen Ort in Ihrem Haus. Betrachten Sie die Welt durch die Augen anderer und Streifen Sie ohne Landkarten herum. Geben Sie dem Zufall eine Chance.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
“Romantiker interessieren sich mehr für subjektive Erfahrung als für objektive Realität, mehr für die Wahrnehmung von Authentizität als für tatsächliche Wahrheit.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
“Die Managementlehre sträubt sich dagegen, zuzugeben, dass Unternehmen Uneindeutigkeit brauchen; Romantiker hingegen wissen, dass sie ein wesentlicher Faktor für langfristigen Erfolg sein kann.” Tim Leberecht:Business-Romantiker
“Wissen ist Macht, aber Nichtwissen ist die romantischere Erfahrung.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
“Romantiker genießen das Flüchtige, den Zauber des vorübergehenden Augenblicks.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
“Romantik kann einen Schimmer der Hoffnung in Zeiten unbarmherziger Logik, Resignation und Depression ausstrahlen.” Tim Leberecht: Business-Romantiker
Dieser Artikel erschien ursprünglich in Changex.