Business Talk: Romantik
Das Magazin MADAME porträtiert Tim Leberecht in seiner neuen Ausgabe.
von Kerstin Holzer
In Zeiten, in denen sogar das Glücksempfinden in mathematische Formeln gegossen wird, hilft Poesie
weiter. Auch im Arbeitsleben – so der Business-Vordenker und Bestsellerautor Tim Leberecht.
Im Münchener Luxushotel „The Charles“ finden sich eine Lobby mit glamourösen Samtfauteuils und elegante Rückzugsgelegenheiten – doch heute ist leider alles besetzt. Es tagt der Deutsche Innovationsgipfel, zu dessen Top-Speakern auch Marketing-Profi und Business-Vordenker Tim Leberecht gehört. Das Interview mit dem 45-Jährigen über mehr Poesie im Arbeitsleben wird also in einem Konferenzraum geführt, dessen holzgetäfelte Wände und edle, doch minimalistische Möblierung den Charme eines KGB-Verhörraums ausstrahlen. Das entlockt Leberecht ein Grinsen und den Kommentar: „Wenigstens stört uns hier keiner.“ Wahre Romantiker sehen eben überall das Schöne.
Madame: Herr Leberecht, als junger Mann haben Sie deutsche Philosophen gelesen und eine Band gegründet, heute referieren Sie auf Wirtschaftsgipfeln vor CEOs über den Erfolgsfaktor Romantik im Job. Ist das nicht eine etwas, tja, unromantische Wendung Ihres beruflichen Werdegangs?
TL: Ja, so könnte man das sehen, aber immerhin schmuggle ich einen Gedanken, der mir sehr wichtig ist, in die Welt. Von der Seele her bin ich wahrscheinlich Künstler. Ich habe mein Jurastudium abgebrochen, weil ich Musiker werden wollte, aber nach zwei Platten war klar, dass sich darauf keine bürgerliche Existenz aufbauen lassen würde.
Madame: Was für Musik haben Sie denn gemacht?
TL: Die Band hieß Migraine, was wohl auch erklärt, warum das nichts wurde. Wir spielten intime Chansons und Jazz- Songs, so Tom-Waits-artig. Das hat wahnsinnig Spaß gemacht, und ich habe viel über Zusammenarbeit mit anderen gelernt.
Madame: Klingt so poetisch wie Ihre Philosophie über Firmenkultur, für die Sie in Ihrem Bestseller „Business-Romantiker“ plädieren: weniger Ökonomisierung und Datafizierung unserer Identität am Arbeitsplatz, stattdessen mehr Sinn, mehr Leidenschaft. Was meinen Sie mit Romantik im Business: Robert-Schumann-Klänge und Kerzen im Büro?
TL: Ich meine damit eine Haltung, die den Menschen und seine Tätigkeit im Wirtschaftsleben nicht auf Effizienz reduziert. Die Romantik des 19. Jahrhunderts war eine Bewegung, die sich gegen die vernunftorientierte Aufklärung wandte. „Die Welt muss romantisiert werden, so findet man den ursprünglichen Sinn wieder“, hat Novalis geschrieben. Ein Romantiker ist ein Sehnsüchtiger, dem die eine Welt nicht reicht, er will ihr einen emotionalen Wert verleihen, der nicht messbar ist. Diese Haltung wird uns heute durch die technische Vermessbarkeit durch Big Data und durch all die „key performance indicators“ systematisch ausgetrieben – inzwischen wird ja sogar das individuelle Glücksempfinden quantifiziert. Radikales Effizienzdenken führt zu Arbeit in Fabriken, automatisiert, ohne Menschen. Dabei sollte es uns darum gehen, wie wir im Job Erfüllung finden, Großes leisten und uns dabei lebendig fühlen können.
Madame: Der Glaube an den eigenen Job scheint rar zu sein: Laut Gallup-Studie betrachtet sich ein Drittel der Deutschen als „ausgebrannt“, 67 Prozent machen nur Dienst nach Vorschrift, 17 Prozent haben innerlich gekündigt.
TL: Ja, ist das nicht eine unglaubliche Verschwendung von Lebenszeit? Im Job verbringt man die meisten Stunden, umso wichtiger, dort Sinn zu verspüren. Wenn 50 Prozent der Arbeitnehmer in Europa sich gestresst fühlen, läuft etwas schief. Romantische Führungspersönlichkeiten haben die Freiheit, sich gegen pure Effizienz zu entscheiden. Und damit für mehr Schönheit auch im Arbeitsleben. „Schönheit wird die Welt retten“, hat Dostojewski gesagt.
Madame: Wohl wahr – aber die Zahl der Träumer, die mit dieser Haltung Erfolg haben, lässt sich doch an einer Hand abzählen, oder?
TL: Ich glaube an eine Vision, und eine Vision hat den Nachteil, dass ihre Konsequenz nicht belegbar ist. Aber es gibt durchaus Träumer, die unternehmerisch großen Erfolg hatten: Steve Jobs, Richard Branson und Elon Musk, der CEO des Elektroautomobilunternehmens Tesla. Sie alle waren oder sind erfüllt von der Bedeutung einer Idee, die über das rein Materielle hinausging, und haben ihr Team damit motiviert.
Madame: Der volkswirtschaftliche Schaden durch Mitarbeiter in der inneren Kündigung soll in Deutschland jährlich bei 118 Milliarden Euro liegen. Ausgebrannte Arbeitnehmer gelten als „Minderleister“. Kommt Ihr Aufruf zu mehr Romantik womöglich deshalb so gut bei Entscheidern an, weil er ein knallharter Effizienzfaktor ist?
TL: Der wirtschaftliche Nutzen ist tatsächlich ein Argument, aber das allein würde die Idee konterkarieren. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns im Übergang in ein neues romantisches Zeitalter befinden.
Madame: Wie kommen Sie darauf?
TL: Die Automatisierung der Arbeitswelt schreitet rasant voran, und die digitalisierte Welt wird in Wahrheit immer kleiner, man lebt wie in einer „Bubble der sozialen Medien“. Es gibt bei der jungen Generation schon Gegenbewegungen: eine Sehnsucht nach Authentizität, man verweigert sich Facebook, fotografiert wieder analog. Für die Generation der Millennials ist Sinngefühl der wichtigste Indikator einer erfolgreichen Karriere. Auch die jungen Gründer von Start-ups, denen ich in meinen 14 Jahren im Silicon Valley begegnet bin, betrachten ihren Job als romantisches Abenteuer. Menschen wollen die Welt nicht nur intellektuell, sondern auch emotional erfassen. Und man sieht an Phänomenen wie Trump oder dem Brexit, wie gefährlich es auch politisch ist, wenn sich eine aus der technisierten Gesellschaft verbannte Emotionalität Bahn bricht. Das dürfen wir nicht den Radikalen überlassen.
Madame: Wie holt man denn nun konkret mehr Romantik in den Job?
TL: Funktionierende, sinnerfüllte Organisationen machen vier Dinge richtig. Erstens: Sie tun das Unnötige. Solche Unternehmen streichen eben nicht die Weihnachtsfeier, denn wer so bedeutsame Symbole der Gemeinsamkeit eliminiert, sagt damit: Teamgeist ist uns egal. Zweitens: Sie stellen Intimität her. Bei Etsy tanzen Mitarbeiter gemeinsam Tango, und das Unternehmen Danone hat einmal bei einem Strategie-Meeting im Team Perücken verteilt. Die Hierarchie spielte keine Rolle mehr, stattdessen gab es Lachen und echte Begegnungen von Menschen.
Madame: Kann peinlich werden.
TL: Aber Peinlichkeit schafft Authentizität. Im Schutz einer verrückten Perücke wagt man es, eine verrückte Idee auszusprechen. Auch Punkt drei hat damit zu tun: Man muss Hässlichkeit zulassen, rohe, ehrliche Momente. Zum Beispiel ungeschönte Kritik oder die Tatsache, dass nicht jeder Kollege jeden Tag gut drauf und sprühend vor Einfällen ist. Und viertens: Funktionierende Unternehmen betrachten sich nicht als starre, abgeschlossene Systeme, sondern als fragil, in Bewegung, entwicklungsfähig.
Madame: Sie empfehlen Managern, morgens vor dem Job Fremde anzusprechen oder mal wieder Gedichte zu lesen. Soll das empfindsamer machen, oder welchen Hintergrund hat das?
TL: Es soll die Routine unterbrechen, den Horizont erweitern. Wer im Alltagstrott steckt, vergisst, wie groß die Gedanken- und Gefühlswelt ist. Und wer mal morgens einen Fremden angesprochen und den Adrenalinkick einer überraschenden Begegnung erlebt hat, nimmt diese Energie mit an den Schreibtisch.
Madame: Manche Ihrer Ratschläge für eine romantische Unternehmenskultur erinnern an die Tipps des US-Paarforschers John M. Gottman für eine glückliche Ehe: Fehler zulassen, einen gemeinsamen Sinn finden … Haben Liebe und Job mehr Parallelen, als wir denken?
TL: Oh ja, alle Beziehungsformen brauchen Rituale, Symbole, Intimität. Und gemeinsame Erfahrungen, zum Beispiel die, miteinander schweigen zu können. Ich habe mit meinem Team kürzlich Silent Dinners in Barcelona und Paris für Unternehmer organisiert. 90 Minuten lang schweigend essen, während Musik spielt. Wir waren überrascht, mit welcher Offenheit sich die Teilnehmer danach begegnet sind.
Dieses Interview erschien in der September-Ausgabe der MADAME.