Digitalisieren wir uns zu Tode?
Für seine Kolumne interviewte Tim Leberecht Markus Albers. Der New-Work-Experte sieht in digitaler Technologie die Ursache für Dauerstress.
Ein Gespräch mit dem Autor Markus Albers zu seinem neuen Buch „Digitale Erschöpfung“.
Markus Albers, einer der wichtigsten deutschen Vordenker zur Zukunft der Arbeit, schlägt in seinem neuen Buch „Digitale Erschöpfung: Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen“ Alarm. Digitale Technologien hätten uns in den Dauerstress des Nur-Noch-Reagierens gezwängt, behauptet er. Albers fordert neue Wege, der „in jede Ritze unserer Existenz eindringenden Arbeitswelt“ zu begegnen, um unsere Produktivät, Kreativität und letztlich unsere Menchlichkeit zu bewahren. Dazu habe ich ihn befragt, passenderweise natürlich per Email.
Markus, wie digital erschöpft bist Du?
Das kommt auf meine Tagesform an. Und darauf, wie erfolgreich ich den digitalen Wildwuchs zurückschneide. An Tagen, die aus einem Dauer-Feuerwerk aus E-Mail, Chats, Skype-Sessions, Pings der Kollaborations-Software und Telefonaten bestehen, bin ich abends sehr erschöpft, geradezu mental ausgelaugt, war aber trotzdem kaum produktiv. Das eigentliche „Machen“, also: kreativ sein, Ideen haben, aber auch Ideen umsetzen, produzieren – all das müsste dann erst beginnen. Ich habe dann den ganzen Tag kommuniziert und reagiert, aber nichts geschafft – oder gar geschaffen. Paul Graham hat dafür mal die schöne Unterscheidung zwischen dem kurzatmigen, von Meetings und Unterbrechungen gekennzeichneten „Manager Modus“ und dem „Maker Moduis“ eingeführt. Letzterer erlaubt lange, nicht unterbrochene Phasen der Konzentration auf eine Aufgabe. Leider arbeiten wir heute fast alle im Manager Modus, und das ist ein wachsendes Problem.
Was meinst Du mit dem Begriff „Digitale Erschöpfung“?
Es mehren sich die Zeichen, dass das emanzipatorische Potential des Digitalen im Alltag an seine Grenzen stößt. Die Hoffnung vieler Menschen, dass Technologie uns ein besseres Leben ermöglichen kann, weicht zusehends der Ernüchterung. Insofern ist die Digitale Erschöpfung, von der hier die Rede sein soll, eine doppelte. Gemeint ist sowohl die konkrete, individuelle Erschöpfung, die das Always-On des Digitalen in uns Menschen auslöst. Aber ebenso die abstrakte, begriffliche eines sich erschöpfendenden Heilsversprechens.
Warum sind wir dem Sog der digitalen Aktivitäten so erlegen? Was glaubst Du sind die tieferliegende Motive?
Ich habe mir für das Buch von Suchtforschern erklären lassen, warum wir alle von den ständig neuen Nachrichten, Notifications, Updates abhängig sind – dahinter steckt ein Phänomen, das Psychologen „intermittierende Verstärkung“ nennen. Ich habe auch mit Technologiekritikern darüber gesprochen, dass Tech-Konzerne ihre Produkte – ob Hard- oder Software – auf maximale Nutzung hin konzipieren. Alles richtig: Das größte Problem ist aus meiner Sicht aber eine Arbeitswelt, die das Neue einführt, aber zugleich am Alten festhält. Stark vereinfacht: Wir sollen abends um 11 noch Emails beantworten, aber morgens um 9 wieder am Schreibtisch sitzen. Beides zusammen macht die Menschen aber kaputt.
Ist Erschöpfung nicht etwas durchaus Positives, das uns das Gefühl gibt etwas geleistet zu haben und uns sogar glücklich macht?
Siehe Punkt 1: „Ehrliche“ Erschöpfung nach getaner Arbeit ist ein großes Glücksgefühl. Das Ausgelaugtsein nach einem Tag des permanenten Reagierens auf – größtenteils digitale – Reize hinterlässt nur eine große Leere. Und zugleich eine Unruhe, weil man doch so gern mal seine Arbeit machen würde. Aber da kommen schon die nächsten Mails, Nachrichten, Social Media Updates, auf die wir reagieren müssen. 70 bis 85 Prozent. Wissensarbeiter verbringen heute 70 bis 85 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings – egal ob physisch oder virtuell –, mit E-Mails, Kollaborationstools und Telefonaten. Gerade aus großen Konzernen höre ich ständig die Klage: Ich bekomme hunderte von Emails am Tag. Kann die gar nicht beantworten, weil ich permanent in Meetings und Telcos hänge. Und jetzt wollen die auch noch ein Kollaborationstool anschaffen. Diese Menschen haben resigniert. Viele lesen ihre Mails kaum noch, und das kann ja auch nicht die Antwort sein.
Kann es nicht sein, dass sich durch die Nutzung digitaler Technologien auch unsere kognitiven und emotionalen Kapazitäten derart verändern, dass wir den Anforderungen dieser neuen Tools letztlich durchaus gewachsen sind? Könnte „digital literacy“ nicht wie Autofahren sein – eine Fertigkeit, die man lernen kann (und sollte!), um weiterhin als aktiver Teil der Gesellschaft funktionieren zu können?
Absolut, und ich möchte sehr gern daran glauben. Es muss uns aber auch die Möglichkeit, sprich: Zeit gegeben werden, diese neuen Fähigkeiten zu entwickeln. Und der Raum, mal abzuschalten, neu aufzuladen, den Blick vom Bildschirm zu erheben und schweifen zu lassen. Im Moment geschieht in vielen Unternehmen das Gegenteil: Wir opfern die Kontemplation auf dem Altar des Götzen Kollaboration. Dass diese aber keineswegs immer zu besseren Arbeitsergebnissen führt, ist durch viele Studien bewiesen. Individuen Und ein
entwickeln eine größere Menge origineller Ideen, wenn sie nicht mit anderen interagieren. Und ein kollaborativer Designprozess reduziert laut MIT die Kreativität der Ergebnisse, weil er dazu tendiert, existierende erfolgreiche Ansätze inkrementell zu modifizieren, anstatt radikal andere zu erkunden.
Viele Unternehmen haben jetzt damit begonnen, Achtsamkeit-Seminare anzubieten, um ihren Mitarbeitern das psychologische Rüstzeug zu geben für eine digitalisierte Arbeitswelt. Ist das eine effektive Massnahme in Deinen Augen?
Ich habe darüber anfangs gelächelt, aber es ist immerhin ein erster Schritt. Der natürlich ad absurdum geführt wird, wenn gleichzeitig ständig neue Kommunikationsplattformen und Kollaborationstools eingeführt werden. Wenn überall Wände rausgerissen werden, weil man sich im Open-Plan-Office ja so viel besser austauschen kann (und dann tragen alle Kopfhörer, um sich konzentrieren zu können). Und wenn die Kultur die Menschen implizit zu ständiger Erreichbarkeit zwingt, auch wenn explizit vielleicht anderes gesagt wird.
Denkst Du, dass Künstliche Intelligenz und Automation unter Umständen eine Chancen bieten, erschöpfende digitale Prozesse von uns Menschen fernzuhalten, so dass wir wieder mit voller Kraft und Konzentration erfüllerenden, bedeutsamen Tätigkeiten nachgehen können?
Das ist der eine Trend, und das ist zumindest langfristig die Hoffnung. Ich fürchte nur, dass uns bis dahin noch einige Jahre bevorstehen, in denen wir eher die Nachteile von AI und Automatisierung erleben werden.Ja, die Zeit, in der wir ständig auf Bildschirme schauen, geht jedenfalls gerade zu Ende. Als Apple die Kopfhörerbuchse am iPhone wegließ und Nutzern empfahl, drahtlose Knöpfe im Ohr zu tragen, war das der erste Schritt in eine Welt von sprachgesteuerten Systemen und lernenden Personal Assistants. Amazon Echo und Google Assistant stehen in immer mehr Haushalten. Apples Siri und Microsofts Cortana lernen schnell dazu. Im besten Fall kann das bedeuten, dass wir künftig wieder mehr von unserer Umwelt mitbekommen, wie Graeme Devine, Gründer von Magic Leap prognostiziert.
Ich finde den Gedanken faszinierend. Und zugleich lässt er mich schaudern. Denn wenn wir uns zunehmend in diesen Welten bewegen, und wenn sie dank Mixed Reality ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens werden, dann sind wir in Zukunft vielleicht nie mehr allein. Wenn die Brillen kleiner werden und die intelligenten Assistenten uns per Knopf im Ohr ständig begleiten, können wir dann überhaupt noch jemals abschalten? Dann wäre der scheinbare Überfluss an digitalen Kanälen und Stimuli, wie wir ihn derzeit erleben und beklagen, nur ein kleiner Vorgeschmack auf eine Welt, in der wir permanent kommunizieren, teilen, kollaborieren – und eben: arbeiten. Für mich wäre das eine Dystopie.
Das hieße dann übrigens auch, dass die Dinge, die wir anschauen, die Orte, die wir besuchen, die Interaktionen mit anderen Nutzern und der psychologische Zustand, in dem wir uns dabei befinden aufgezeichnet und ausgewertet werden, um die virtuelle Erlebnisse noch besser an unsere Erwartungen und Vorlieben anzupassen. Und genau diese extrem persönlichen Daten – riesige Mengen an Daten – werden auch für Arbeitgeber interessant sein. Schon heute heißt einer der heißesten Trends unter Personalberatern in den USA People Analytics, also das Auswerten von Daten über Mitarbeiter, um Muster zu erkennen und darauf zu reagieren. Ich habe am MIT in Boston Ben Waber getroffen, einen der Vordenker dieser Bewegung und Autor des gleichnamigen Buches. Waber hat auf Basis seiner Forschungsarbeit eine Firma gegründet, die im Auftrag von Unternehmen Bewegungs- und Kommunikationsmuster ihrer Angestellten analysiert. Waber verdient also mit dem Messen der persönlichen Daten von Wissensarbeitern sein Geld. Glaubt man ihm, ist diese Bewegung erst am Anfang.
Es ist eine Sache, digitale Erschöpfung zu konstatieren – und zu managen – aber was ist denn Deine ganz persönliche Vision für eine menschlichere digitale Zukunft? Wie könnten alternative Modelle aussehen, und welche gesellschatlichen Akteure siehst Du da in der Pflicht: Unternehmen, Regierungen oder uns Bürger bzw. Nutzer?
Ich glaube, kurz gesagt, hier nicht an politische Regulierung. Und auch nicht an Top-Down-Modelle von Arbeitgebern. Ich glaube an kleine Siege im Alltag, in Teams und Familien. Daran, dass wir alle wieder lernen müssen, den digitalen Wildwuchs zurückzuschneiden und das Nicht-Digitale wieder zu trainieren. Um dann natürlich trotzdem – mit größter Begeisterung – neue Technologien einzusetzen. Ich bin ja jemand, der Tools und Gadgets als erster ausprobiert. Nur eben nicht immer und nicht auf Kosten echter menschlicher Beziehungen. Als meine damals vierjährige Tochter zum ersten Mal sagte „Schau nicht immer auf Dein Handy, Papa“, war ich erst amüsiert, dann betroffen, dann hilflos. Denn ich habe gemerkt, dass ich nicht aufhören konnte, ständig heimlich auf den Bildschirm schaute, nie wirklich präsent war. So ein Vater wollte ich nicht sein, so ein Mensch auch nicht.
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Markus Albers, geboren 1969, lebt als Autor, Berater und Unternehmer in Berlin. Er ist Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Rethink sowie Gründer der Beratungsplattform Neuwork. Er schreibt für Monocle und Brand Eins sowie die Kolumne »Flight Mode« für Lufthansa Exclusive. 2008 erschien sein Wirtschafts-Bestseller „Morgen komm ich später rein“ und 2010 „Meconomy“. Zu den Buchthemen hält er Vorträge, moderiert Panels und Workshops.
www.markusalbers.com, auf Facebook und bei Twitter: @albersmark
Dieses Interview erschien auf t3n.