Es wird eng für Gewinner
Der Kultur Blog bespricht Tim's neues Buch.
Ob auf dem Spielplatz oder in der Schule, zu verlieren fällt bereits in Kindertagen schwer. Auch wenn es vielleicht zuvor lange beim „Mensch ärgere dich nicht“ geübt wurde. In einer Gesellschaft, in der Gewinner die Richtung vorgeben, fällt es noch ungleich schwerer, ein/e Verlierer/in zu sein. Denn wir leben in einer Kultur des permanenten Leistungsdrucks.
Es geht um Leistungsoptimierung und Gewinnmaximierung: Wie Kunden und Menschen gewonnen werden können. Und wie man im Leben Sieger bleibt. Überall und allerorts ist das Dogma vom Gewinnen-Müssen allgegenwärtig. Wohlstand, Stabilität und Identität sind Begriffe, die eng mit dieser Gewinnerkultur in unserer Gesellschaft verknüpft sind. Der Autor des Buchs „Gegen die Diktatur der Gewinner“, Tim Leberecht, beschreibt äußerst konkret, wie es zur totalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche kommen konnte, nennt Beispiele des entgrenzten Kapitalismus und die Versuche der Politik, sich selbst als Teil des Unternehmertums zu begreifen.
Doch kann unter veränderten Lebensbedingungen daran festgehalten werden? Müssen wir uns nicht daran gewöhnen, auch zu verlieren, ohne gleich als Versager abgestempelt zu werden? Die zunehmende Digitalisierung, die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz und die vermehrte Einsetzbarkeit von Robotern machen viele Tätigkeiten für Menschen hinfällig. In manchen Bereichen sind es bis zu 70 Prozent, die von computergesteuerten Maschinen erledigt werden können.
Am Ende jedoch ist wichtig, wie wir zu mehr Menschlichkeit in diese Veränderung gehen und das bedeutet, dass wir neu lernen müssen, mit Niederlagen umzugehen. Tim Leberecht kann sogar anschaulich vermitteln, dass das Verlieren in Zukunft zur unerlässlichen Kernkompetenz werden wird. Und das in den verschiedensten Formen. Benötigt wird dabei zu allererst eines – Humanität. Das heißt Verletzlichkeit und Gefühle zulassen und authentisch sein – das bisherige Spiel nicht mehr mitzuspielen.
Falls dies in manchen Ohren auch utopisch klingen mag, diese Einschätzung basiert auf genauen und intensiven Recherchen, vielen Gesprächen und Beobachtungen des Autors, der als Unternehmer mittendrin war. Naivität kann ihm nicht bescheinigt werden, wohl aber scharfsichtige Analyse einer Gesellschaft, die den Einzelnen und die Menschlichkeit aus den Augen verloren hat. Wer sie dagegen aufleben lässt und mit den Anforderungen einer digitalen Gesellschaft 4.0 verknüpft, wird eine neue Form des menschlichen Miteinanders erschaffen.
Ein kluges, sehr anschauliches und wegweisendes Buch.
Diese Rezension erschien auf Der Kultur Blog.