Fels sein und Wasser
Ein ausführliches Gespräch mit Tim Leberecht über romantische Leadership, Motivation und Innovation
Von Alexandra Hildebrandt
Das Interview mit Tim Leberecht, Autor des vielbeachteten Buches „Business-Romantiker: Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben” (Droemer-Knaur, 2015) erscheint in der Huffington Post sechs Teilen.
Die wichtigsten Kernaussagen seines Buches werden hier umfangreich kommentiert und mit Managementansätzen von Fredmund Malik („Wenn Grenzen keine sind. Management und Bergsteigen”, Campus Verlag, 2014) verglichen. Durch die Konfrontation gegenteiliger Ansichten ergibt sich ein Gesamtbild des New Business, in dem wir beides sein müssen, um es zu verstehen: Fels und Wasser.
_ Herr Leberecht, was für die Menschen des 18. Jahrhunderts das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen war, ist heute das Erlernen von Wirksamkeit durch Management, schreibt der Wirtschaftsökonom Fredmund Malik in seinem Buch „Wenn Grenzen keine sind. Management und Bergsteigen”. Für Sie spielt das Jahrhundert der Romantik im aktuellen Managementkontext ebenfalls eine wichtige Rolle. Worin unterscheiden sich Ihre Ansätze?
Für Malik steht das aufklärerische Element des 18. Jahrhunderts im Vordergrund, für mich die Gegenbewegung: die Romantik. Das sind zwei grundverschiedene Vektoren.
An der Aufklärung anknüpfend ist das moderne, rationale Management darauf aus, den Raum für Unwissen und Uneindeutigkeit ständig zu reduzieren, auf der Basis einer objektiven, empirisch prüfbaren Wahrheit. „Nur was wir messen, können wir auch managen” – diese Formel ist für viele Manager ein letzter Ort der Geborgenheit in einer immer komplexeren Welt.
Die Romantik dagegen will den Raum des Uneindeutigkeiten, Nicht-Messbaren, Nicht-Begreifbaren so groß wie möglich halten.
Das Spannende liegt nun für mich darin, dies als wirtschaftliche Notwendigkeit zu begreifen, denn ohne Aura, ohne Mysterium, ohne unbedingte Emotionalität und ohne Transzendenz verkommt eine Marke, ein Unternehmen irrgendwann zum Automatismus – und der lässt sich leicht kopieren und gegebenfalls gegenüber Wettbewerbern optimieren. Nur Probleme zu lösen schafft keine dauerhafte Loyalität.
Ich war in den letzten Wochen bei Airbus, IBM, UPS und vielen anderen, eher daten-und prozessorientierten Firmen, und der Hunger nach mehr Bedeutung, nach mehr Emotionalität in der Wirtschaft wurde bei den Teilnehmern meiner Vorträge und Workshops sehr deutlich. Das macht mir Mut!
Um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen: lesen, schreiben und rechnen zu können muss nicht bedeuten, dass wir alles lesbar, explizit und berechenbar machen.
Der Zweifel und die Ahnung sind für den Romantiker wichtiger als totales Wissen und radikale Transparenz. Romantiker wollen nicht nur mehr begreifen, sondern auch mehr fühlen, und die Wirtschaft ist für sie das menschliche Abenteuer schlechthin.
Sie feiern die Ambivalenz, den Widerspruch, das Prinzip Hoffnung. Viele Manager spotten: Hoffnung ist keine Strategie. Aber ja doch, sogar die beste! Hoffnung ist der größtmögliche intrinsische Motivator. Leaders sind vor allem Hoffnungsträger.
_ Die Romantiker entdeckten im 18. Jahrhundert auch das Bergsteigen für sich. Malik findet es „schön”, doch bringt er Schönheit nicht mit dem Arbeitsleben in Verbindung. Ihr Buch „Business-Romantiker” nimmt diesen Aspekt aber verstärkt auf – warum?
Schönheit ist der Inbegriff des Irrationalen, dessen, was die Romantiker „Entgrenzung” nennen. Schönheit lässt sich nicht objektivieren. Sie löst kein Problem und ist weitgehend nutzenfrei, und steht somit in direktem Gegensatz zum Utilitarismus des traditionellen Wirtschaftens.
Schönheit ist im wahrsten Sinne des Wortes disruptiv und stößt uns vor den Kopf. Sie besitzt eine ästhetische und experientielle Qualität: als Zeichen des Meta-Physischen und als kritischer Moment der (Selbst-)erkenntnis.
Sie ist die Ahnung, dass es immer noch mehr gibt, dass das Materielle alleine nicht reicht zum Glück. Schönheit macht den Unterschied aus zwischen einem produktiven und einem erfüllten Leben.
Die meisten von uns wollen nicht nur ein erfolgreiches, sondern auch ein schönes Leben führen, eines mit einschneidenden Momenten, intensiven emotionalen Erfahrungen sowie der Anmutung von Intimität und, ja, Zauber. Warum sollten wir ausgerechnet im wirkungsmächtigsten System unserer Zeit, der Wirtschaft, darauf verzichten?
Zudem gibt es für Schönheit in der Wirtschaft rein praktische Argumente, wie zum Beispiel Ergebnisse aus der Hirnforschung, die die subjektive Wahrnehmung von Schönheit positiv mit Kreativität und Produktivität korrelieren. Aber wichtiger erscheint mir, dass Unternehmen Schönheit an und für sich fördern, wie das Rafael Ramirez mit seiner ästhetischen Theorie des Managements fordert oder auch die dänisch-amerikanische Unternehmensberatung ReD Associates.
Leider ist das aber immer noch eher selten der Fall. Im Gegenteil, Firmen sind viel zu nachsichtig, was Hässlichkeit betrifft. Sie betrachten Schönheit als Luxus und opfern sie für Effizienz und Profitmaximierung. Das ruiniert ein gutes Stück Lebensqualität – am Arbeitsplatz und darüber hinaus.
_ Weshalb halten Sie Gefühle und Fantasie für elementar im Business? (Für Malik sind sie keine Hilfe, komplexe Organisationssysteme und Situationen zu verstehen und darin richtig zu handeln.)
Nun ja, wir wissen ja schon langem, dass das neo-klassische Modell vom homo öconomicus überholt ist, und dass wir eigentlich gar nicht in der Lage sind rein rationale Entscheiudngen zu treffen. Der Mensch ist ein intuitives, emotionales Wesen, und wir haben es seltsamerweise fertiggebracht, diesen wesentlichen Aspekt unseres Daseins vom Arbeitsplatz weitgehend zu entfernen.
Angesichts der zunehmenden Automatisierung von Prozessen kann es durchaus sein, dass Produktivität als wirtschaftliche Richtgröße schon bald den Robotern vorbehalten sein wird. Emotionen werden dann mehr denn je zu entscheidenden Erfolgsfaktoren.
Charismatischen Organisationen und Führungskräften gehört die Zukunft, weil sie Hoffnung spenden und inspirieren, und zwar nicht nur mit guten Argumenten, die unsere Vernunft ansprechen. Es ist ja kein Geheimnis, dass emotionale Verbundenheit, Leidenschaft und der Glaube an eine gemeinsame Idee stärker motivieren als die Aussicht auf Gewinn oder pures Eigeninteresse.
Wir wollen alle Teil von etwas sein, dass größer ist als wir selbst, und wir sehnen uns nach der Sehnsucht. Man könnte auch sagen: Wenn alles nur noch auf Maximierung und (Selbst-) Optimierung aus ist, verbleibt die Romantik als das ultimative Alleinstellungsmerkmal.
Was mich bei Malik denn auch stört, ist der rein instrumentalistische Ansatz: Emotionen sollten eben nicht nur zu Navigationsinstrumentes reduziert werden, um „richtig zu handeln” (was immer auch „richtig ” bedeutet), sondern das Fühlen an sich ist von Wert. Das hat die Ökonomisierung aller Lebensbereiche uns angetan: dass wir unseren Gefühlen nicht mehr trauen (dürfen), wenn wir sie nicht ironisieren, post-rationalisieren oder quantifizieren.
Nur das gemessene Leben ist noch ein gutes Leben. Die Logik des Dauervermessens ist nunmehr überall am Start, in unseren sozialen Beziehungen, zuhause im Wohnzimmer, sogar im Bett (schauen Sie sich einmal die App „Spreadsheets” an!). Abgesehen von Fußballstadion, Rockkonzert oder anderen „Eskapismen” gibt es kaum noch Platz mehr für ausgelassene, rauschhafte Gefühle.
Es ist kein Wunder, dass das Burning Man Festival in der Wüste von Nevada jeden Sommer mehr als 50.000 Menschen anzieht, die eine Woche lang Tauschwirtschaft und Ko-Kreation in ihrer rudimentärsten Form feiern. Auch wenn sich das vielleicht naiv und provokant anhört: Wir müssen wieder lernen die Kontrolle zu verlieren. Wir müssen wieder schätzen lernen, was sich gut anfühlt.
_ Business-Romantiker sind immer beides: analytisch und kreativ. Wie gelingt es, alle Seiten, die auch mit dem Wechsel verschiedener Rollen zwischen dem Wieso, Was und Wie verbunden sind, wirksam auszufüllen?
Ich unterscheide zwischen Wieso, Was und Wie-Rollen in Unternehmen. In traditionelllen Firmenhierarchien sind diese Aspekte oft getrennt, und grundsätzlich ist es so, dass das Wieso in Unternehmen höher angesiedelt ist als das Wie, als die operativen, taktischen Aufgaben.
Business-Romantiker jedoch vereinen Wieso, Was und Wie in Personalunion, sie verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, der Strategie und taktische Umsetzung vereint. Sie sind immer Unternehmer und detailverliebter, gewissenhafter Projektmanager zugleich.
Künstler und Analytiker. Sie können problemlos vom Makro zum Mikro schwenken und diverse Rollen annehmen. Das gibt ihnen nicht nur eine größere emotionalere Spannbreite, sondern erhöht auch ihre Effektivität im modernen Unternehmen, das zunehmend hybridere, offene und flexiblere Strukturen aufweist.
Romantiker können sich selbst motivieren, weil sie das Große finden in kleinen Momenten der Freude, der Überraschung und der Intimität. Und diese Grundstimmung kann durchaus ansteckend sein und zu einem insgesamt positiveren Betriebsklima beitragen.
Dieses Interview erschien ursprünglich in der Huffington Post.