Romantische Zukunftsfreude statt Zukunftsangst
Interview mit Tim Leberecht vor dem Future Day 17
Tim Leberecht ist leidenschaftlicher Business-Romantiker. Wer allerdings glaubt, dass seine Geschäftstermine nur bei Kerzenschein ablaufen, hat weit gefehlt. Im Interview erzählt Future Day Speaker Leberecht, welche Business-Chancen in einer romantischen Unternehmenskultur verborgen sind und wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen könnte.
Welcher Trend wird die Zukunft viel stärker prägen, als wir denken?
Der Wandel der männlichen Identität ist ein unterschätzter Trend. Aktuell beziehen Männer ihre Identität, ihre Rolle, ihren Beitrag zur Gesellschaft noch aus der Arbeit – und diese Identität ist in einer Krise. Wir werden uns sehr viel damit beschäftigen müssen, wo wir den Mann in der Gesellschaft außerhalb des Arbeitslebens sehen – vor allem wenn man davon ausgeht, dass Arbeit in Zukunft ihre zentrale Rolle verlieren wird. Das ist ein Trend, über den man zwar gerade spricht, aber den man in seiner Radikalität und Tragweite momentan, glaube ich, noch nicht voll begreift.
Und was ist Ihrer Meinung nach ein überschätzter Trend?
Ein überschätzter Trend ist meiner Meinung nach die Tendenz, alles zu quantifizieren. Wir glauben, dass wir durch das Erfassen aller Daten besser gerüstet sind für die Zukunft und bessere Entscheidungen treffen können. Aber ich glaube, da überschätzen wir die Aussagekraft der Daten. Daten sind natürlich magisch und faszinierend und geben uns allerlei Einsichten, aber man darf sie eben nicht mit einer rein objektiven Wahrheit verwechseln. Es ist sehr wichtig, dass wir uns immer noch eine subjektive und emotionale Wahrheit erhalten und diese der quasi-objektiven datenbasierten Wahrheit gegenüberstellen.
Die Obsession mit Daten kann regelrecht gefährlich werden, gerade auch in Unternehmen. Das geht bis hin zum so genannten „Quantified Workplace“, wo wirklich jede Bewegung, jeder Gefühlsausdruck, jeder Beitrag von Mitarbeitern unmittelbar gemessen wird und dann in Scores oder Ratings übersetzt wird. Ich glaube, das raubt uns unsere Menschlichkeit und wird mittelfristig dazu führen, dass wir unsere Kulturen kaputt machen. Am Ende hätten wir dann nur noch eine Art reduktionistischen Apparat, der aber keinerlei Raum mehr lässt für Fantasie und Kreativität. Und das sind eben genau die Qualitäten, die in der Zukunft so wichtig werden.
Wo sehen Sie denn unsere Gesellschaft in 20 Jahren?
Meine Theorie ist, dass wir vor einem neuen romantischen Zeitalter stehen. Damit meine ich ein Zeitalter, das Subjektivität, Mehrdeutigkeit, Empathie, Fantasie und Gefühl belohnt und Raum dafür lässt, anstatt nur auf ein datenbasiertes, lineares Gesellschaftskonstrukt zu setzen. Das ist meine optimistische Lesart. Es gibt natürlich auch eine dystopische Lesart, die sagt, wir sind auf jeden Fall am Ende einer großen Geschichte angekommen, wo viele der bestehenden Systeme des 20. Jahrhunderts am Zerbrechen sind und wir uns eine neue Identität mit neuen Strukturen schaffen müssen. Das sieht man ja auch an den ganzen schmerzhaften Umwälzungen in der Politik, dem Populismus, und anderen extremistischen Bewegungen.
In jedem Fall werden die nächsten 20 Jahre vor allem Jahre des Umbruchs sein, in denen wir uns sehr gut überlegen müssen, wie wir uns die menschliche Handlungsfähigkeit und Autonomie bewahren.
Ich glaube nicht, dass es in 30, 40 Jahren noch Unternehmen geben wird. Das wird sich alles atomisieren und in flexible Strukturen auflösen. Arbeit, der wir heute leider weniger Wert beimessen, wie z.B. im seelsorgerischen, erzieherischen, künstlerischen Bereich – also Arbeit, die wirklich nur Menschen machen können – wird massiv aufgewertet werden und einen anderen Stellenwert erfahren. Es kommt wirklich darauf an, dass wir Räume schaffen für Sinn und für Identität, die außerhalb von Arbeitsstrukturen liegen.
Wie kann Romantik zu einer besseren Firmenkultur beitragen?
Romantik ist vor allem eine Art, die Welt zu erfahren, und zwar nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Effizienz, sondern auch unter dem Aspekt der Mehrdeutigkeit. Auch wenn es auf den ersten Blick noch so trivial erscheinen mag: Alles hat eine tiefere Bedeutung. Das ist die Grundhaltung des Romantikers. Eine andere Weltsicht für den Mitarbeiter wäre also der erste Aspekt.
Der zweite Bereich für Unternehmen ist die Führungsebene. Ich glaube nicht daran, dass alles nur von unten nach oben kommen kann, und dass Mitarbeiter von heute auf morgen ihre Kultur in eine romantischere Kultur umwandeln können. Es bedarf schon starker Führungskräfte, die das auch zulassen und fördern. Man muss auf der Führungsebene Überzeugungsarbeit leisten und Führungskräften sehr eindringlich klarmachen, dass sie in manchen Fällen die Wahl haben zwischen Effizienz und Kultur. Wenn sie Entscheidungen immer nur unter dem Gesichtspunkt “Effizienz” treffen, dann gefährden sie eine menschliche Kultur in ihrem Unternehmen. Und dann werden sie langfristig keine Möglichkeit mehr haben, Menschen noch anzuziehen und zu inspirieren. Diese zweite Ebene ist sozusagen eine sentimentale Erziehung der Führungskräfte, wenn man so will, die weit über das hinausgeht, was man jetzt an Business-Schulen lernt. Ich glaube, es wird sehr wichtig werden, dass man als Führungskraft geerdet ist in einer breiteren, kulturellen, humanistischen Ausbildung.
Und das dritte sind einfach kleine Hacks, romantische Tools und Techniken, die man sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Kundenerfahrung anwenden kann. Wie zum Beispiel mehr Rituale zu schaffen, die wir leider weitgehend aus unserem Leben entfernt haben. Es gibt einige Firmen, die jetzt Geheimbünde geschaffen haben, um den Rebellen, den Romantikern in ihren Firmen eine Plattform zu schaffen. Etsy zum Beispiel, die E-Commerce-Plattform, hat das gemacht, oder auch Accenture oder Virgin. Das geschieht auch im Hinblick auf Millennials und die Generation Z, die gerade im letzten Jahr ins Arbeitsleben eingetreten ist und sich nach fluideren, flexibleren Identitäten am Arbeitsplatz sehnt. Diese jungen Leute wollen nicht nur auf eine professionelle Identität reduziert werden.
Das heißt: Je mehr Unternehmen Räume schaffen können für eine Vielzahl an Identitäten, desto besser. Das kann durch Virtual Reality passieren, das kann dadurch passieren, dass man Externships anbietet, wo man Mitarbeiter für ein, zwei Tage zu einem anderen Unternehmen schickt, oder für längere Zeit und dann wieder zurückholt. Viele Unternehmen machen das bereits, dass man nie am gleichen Arbeitsplatz sitzt, wie zum Beispiel Credit Suisse oder auch der Co-Working Space Factory in Berlin. So bricht man immer wieder Routinen, um zum einen unberechenbar zu bleiben und Abwechslung zu schaffen. Aber zum anderen eben auch um zuzulassen, dass man die verschiedenen Identitäten, die man mitbringt an den Arbeitsplatz, tatsächlich ausleben kann. Dieses Mehr an Identität, diese Mehrdeutigkeit ist ein sehr romantischer Gedanke und auch ganz konkret etwas, wo Unternehmen ihre Organisationsstrukturen entsprechend gestalten können.
Es kommt natürlich immer auf die Kultur des Unternehmens an. Wenn es jetzt eher eine introvertierte Kultur ist und es sind alles stille Tätigkeiten, wo viel geschrieben wird, dann macht das wenig Sinn. Aber wenn es eine eher kollaborative, extrovertierte Kultur ist, dann ist das sicher einfacher. Man muss immer darauf achten, dass man eine Balance schafft. Wir wollen ja letztlich auch eine Balance haben zwischen Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit, wir wollen ja eine Grundstabilität haben. Keiner will zur Arbeit kommen und Angst haben um seine Rolle. Auf der anderen Seite denke ich mir, wenn wir genau wissen, was morgen passieren wird und es ist jeden Tag ein prozessgetriebener, routinierter Ablauf, dann haben wir natürlich auch keine Lust mehr zur Arbeit zu gehen. Das Abenteuer Arbeit muss erhalten werden.
Was treibt Sie zur Verzweiflung?
Was mich zur Verzweiflung treibt, ist dieser blinde Glaube an alles, was aus Silicon Valley kommt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin großer Fan vom Silicon Valley, habe ja selber für 14 Jahre dort gelebt. Ich finde es auch sehr romantisch. Es ist ein sehr abenteuerlicher Ort, wo viele hingehen, um ihre Träume zu verwirklichen. Dieser Optimismus ist wirklich ansteckend. Aber was mich zur Verzweiflung treibt, sind diese Quasi-Wallfahrten vieler europäischer Firmen. Sie scheinen zu glauben, dass digitale Transformation nur stattfindet, wenn man alle Praktiken aus Silicon Valley unhinterfragt zu Hause eins zu eins kopiert.
Und das ist eben genau der falsche Ansatz. Wir haben eine andere Kultur hier im deutschsprachigen Raum, und wir können zu Recht stolz sein auf Strukturen wie die soziale Marktwirtschaft, die es in den USA eben nicht gibt.
Und was mich persönlich zur Verzweiflung treibt, ist eine Kultur des Lautens. Manchmal sind wir einfach sehr laut. Das fängt an bei Sounddesigns von Restaurants bis hin zu der Art, wie wir uns in Gesprächen verhalten. Wie wir uns nicht zuhören. Das ist natürlich bedingt durch die Medien, und vielleicht auch durch diverse gesellschaftliche Phänomene. Aber ich denke, wir könnten wieder ein bisschen Stille und Nachdenklichkeit vertragen.
Und andersrum gefragt, was gibt Ihnen Anlass zu Hoffnung?
Hoffnung braucht nicht unbedingt einen Anlass. Hoffnung ist ja, wenn man an etwas glaubt, ohne einen Beweis dafür zu haben, ohne etwas sicher zu wissen. Insofern habe ich gerade sehr sehr viel Hoffnung, gerade weil wir so wenig Anlass dazu haben. Ich meine, momentan sind wir in einer Phase der Unsicherheit, keiner hat Antworten, viele haben Fragen, ich auch. Keiner weiß ganz genau, wie es weitergeht. Ich hatte ja vorhin schon darüber gesprochen, dass wir in dieser Umbruchphase sind. Wir haben Hoffnung, dass wir darin nicht ganz die Kontrolle über unser Schicksal verlieren. Und ich hoffe, dass wir am Ende dieses Umbruchs wieder irgendwo landen, wo wir friedlicher und vollständiger als Menschen leben können.
Treffen Sie Tim Leberecht auf dem Future Day 2017
Future Day 2017 – 21. Juni 2017 am Frankfurter Kap Europa
Fokusthema „Evolutionärer Kapitalismus“ – Timeslot 16.40-18.20 Uhr
Speaker Tim Leberecht | Unternehmer & Autor
Thema Romantisches Business – Gefühle prägen das Geschäft von morgen