Spektrum, 3. März 2021
Gewinnen war gestern
Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Verletzlichkeit und gegen zwanghaften Optimismus.
von Marlene Krauch
Tim Leberecht ist Unternehmer, Autor, Redner und Berater. Er ist Mitbegründer der Business Romantic Society und Verfechter eines neuen Humanismus in Wirtschaft und Gesellschaft. Sein 2015 erschienenes Buch »Business-Romantiker« sowie zahlreiche veröffentlichte Texte und Reden, darunter mehrere TED Talks, haben ihn einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Buch richtet sich nicht an Menschen, die man für tatsächliche Verlierer halten könnte, die am so genannten Rand der Gesellschaft leben. Es will stattdessen all »diejenigen ansprechen, die noch verlieren können«: erfolgreiche Manager, die Mittelschicht, jüngere Generationen. Und die sollten sich, so der Autor, aufs drohende Verlieren, auf den Niedergang des bisherigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems vorbereiten. Was die bisherigen Gewinnertypen ausmacht (sie haben die größte Angst vor dem Verlieren), wo überall man ihr Ende beobachten kann (SPD, Silicon Valley), erfahren wir dabei ebenso wie Geschichten vom Verlieren (vom Autor selbst, von Männlichkeitsidealen) und – ganz wichtig: Strategien für Verlierer (Mikro-Freundlichkeit, Grundeinkommen, Meditation). Tim Leberechts Werk ist ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Verletzlichkeit und gegen die Kultur des Zwangsoptimismus und der Zwangsoptimierung. Es ist ein Sammelsurium verschiedener wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ansätze, Ideen und Geschichten. Dass dabei jegliche Information in das Korsett der Begrifflichkeiten des Verlierens oder Gewinnens gepresst wird, macht das Lesen mitunter anstrengend. Eine interessante Sammlung an Überlegungen bleibt dieses Buch trotzdem.
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Diese Rezension erschien auf Spektrum.de