Gipfelstürmer: Warum der Berg eine Lebens- und Karriereaufgabe ist
Die Romantik, mit der Sehnsucht nach Kreativität und dem Erschließen von Sinn verbunden, erlebt gerade eine Renaissance, die viele gesellschaftliche Bereiche betrifft.
von Alexandra Hildebrandt
„Mein Berg” heißt ein Song auf dem neuen Album „Gipfelstürmer” der Band Unheilig. Der Berg ist nicht nur ein Symbol für den Sänger der Graf, sondern war für ihn stets auch eine Aufgabe, der er sich mit Passion gewidmet hat. Dazu gehört beides: Leid und Leidenschaft wie beim Bergsteigen – das größte Glück, der absolute Flow und ultimative Kick, aber auch Verzweiflung und Angst.
Die „Aufgabe” gab dem Grafen Sinn und forderte ihn heraus, er ging er in ihr auf und gab sein Bestes. Jetzt möchte er die Spitze, die er so lange gestaltet hat, verlassen und zurückkommen ins „normale” Leben. Das verlangt eine entsprechende Haltung zu sich selbst, die sich auch in seinen Songs findet.
Kürzlich erschien in der Süddeutschen Zeitung ein umfangreicher Beitrag darüber mit dem Titel „Dem Himmel so nah”, in dem seine Texte als Treibgut romantischer Motive bezeichnet werden, die sich zu Literatur wie ein „Candle Light Dinner zu Joseph von Eichendorff” verhalten.
Diese Bewertung soll nicht weiter interessieren, sondern lediglich die Tatsache, dass die Romantik, die mit der Sehnsucht nach Kreativität und dem Erschließen von Sinn verbunden ist, gerade eine Renaissance erlebt, die viele gesellschaftliche Bereiche betrifft.
Um ein Bild der Gegenwart zu erhalten, müssen all diese Strömungen im Zusammenhang gesehen werden: von der Kunst über den Sport bis zur Wirtschaft.
So bezeichnet sich auch der Künstler Nino Malfatti, dessen Werke in namhaften Museen und Sammlungen zu finden sind, im kulturhistorischen Sinn als Romantiker, denn die Alpinmalerei wurde erst in der Epoche der Romantik mit Caspar David Friedrich, Joseph Anton Koch oder Caspar Wolf ein vordergründiges Thema – vorher waren Berge eher Beiwerk und Hintergrund.
In einem Interview mit Dominik Prantl sagte Malfatti kürzlich, dass er sich Berge ohne Romantik und Gefühle nicht vorstellen kann: „Ich behaupte sogar, dass selbst Extrembergsteiger mit einer gewissen Romantik als Ausgangssituation in die Berge gegangen sind und erst dort zu extremen Leistungen angespornt wurden.” (Süddeutsche Zeitung, 28.5.2015)
Im Internet findet sich eine Collage des berühmten Bildes „Der Wanderer über dem Nebelmeer” von C.D. Friedrich, auf dem der Wanderer mit einem Smartphone zu sehen ist. Darunter ein Interview mit Tim Leberecht, der in seinem Buch „Business Romantiker” (Droemer Knaur, 2015) beschreibt, warum Romantiker auch im Job erfolgreich sind und was Unternehmer und Manager von Künstlern lernen können.
In der Romantik waren die Künstler auf der Suche nach einer Begegnung mit dem Erhabenen. Sie verbrachten viel Zeit damit, „ihren Gefühlen des Erschauderns und der Ehrfurcht beim Anblick der schneebedeckten Berggipfel und des lichtdurchdrungenen Sees nachzuhängen, den Mary Shelley als so ‚blau, wie der Himmel, der sich in ihm spiegelt’ beschrieb”, heißt es in seinem Buch.
Leberecht ist davon überzeugt, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn es mehr Romantik in unserem Leben gäbe. Seinem Buch stellt er deshalb den Satz von Novalis voran: „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder.”
Bergsteigen als Lebens- und Führungsschule
Auf den Markt zu gehen heißt, sich der Welt zu zeigen: Das ist für Leberecht „der Anfang jedes Wirtschaftens, der Anfang jeder Romantik”. Wer sich den Romantikern zugehörig fühlt, sucht Möglichkeiten und Räume für außergewöhnliche Erfahrungen – aber, so betont er, „als Geschäftsleute müssen wir auch die Grundlagen für eine Karriere legen”.
So ist sei es eine Sache, „eine Abfolge von transzendenten Momenten zu erleben – als wären sie Perlen an einer Schnur -, eine andere, ein Leben aufzubauen, in dem es vorwärtsgeht und das einem erzählerischen Ganzen entspricht”.
Wo immer unser Blick heute hin schweift: überall finden sich romantische Spuren und Sehnsüchte. Es ist kein zu Zufall, dass das persönlichste Buch des Managementvordenkers Fredmund Malik („Wenn Grenzen keine sind. Management und Bergsteigen”, Campus Verlag 2014) mehr als nur ein Managementwerk ist.
Es ist ein Kunstwerk, an dem maßgeblich Reinhard Gassner und Andrea Redolfi beteiligt waren, die das Design des Buches schufen, das von der Typografie bis zur Umschlaggestaltung besticht. „Verklärt” wird das Umschlagfoto durch den Stoffüberzug.
Der rote Faden des Buches zeigt sich in der durchgehenden Symbolik des Seils, das sich ebenfalls als rot-schwarzes Muster auf dem Buchrücken findet – passend zum Eingangszitat von Malik:
„Der Schlüssel zu den außergewöhnlichen Leistungen wirksamer Menschen liegt in der Art ihres Handelns. Nicht wer diese Leute sind, ist entscheidend, sondern das Tun. Durch ihr Handeln zieht sich ein roter Faden, ein Muster.”
Das Bergsteigen ist für Malik eine gute Lebens- und Führungsschule. Aktuelle Herausforderungen können seiner Ansicht nach heute mit alten Managementsystemen nicht mehr bewältigt werden – auch mit alten Eispickeln lassen sich gefrorene Wasserfälle nicht mehr erklettern:
„Überall brauchen wir Innovationen, neue Denkweisen und neue Lösungen. Ganz besonders gilt das für das wirksame Management für Organisationen und auch für die Menschen.”
Bergerfahrungen sind für ihn mit der Einsicht verbunden, dass sich die Natur nicht nach menschlichen Vorstellungen und Plänen richtet. Erfolg zu erklimmen hat für ihn nichts mit einem Plan zu tun, sondern mit eigenen Vorbereitungen auf das, was möglicherweise eintritt.
Der Begriff Romantik kommt im Vokabular von Fredmund Malik nicht vor und ist auch kein inhaltlicher Bestandteil seines Buches, in dem es vor allem um die Ergebnisorientierung der Alpinisten geht, um das Erreichen von Zielen als Erfolgskriterien.
Damit verbunden sind für ihn Leistung, Emotion, Erfahrung, Erlebnis. Auch im Management kommt es nach Malik nur auf Resultate an. Dennoch haftet dem Buch etwas Romantisches an, weil es Künstler „überzogen” haben.
Und weil es dazu einlädt, sich mit anderen Lebens- und Managementauffassungen auseinanderzusetzen, überall das zu suchen und zusammenzufügen, was es für ein vollständiges Leben braucht, und das ohne Romantik leer wäre.
Die emotionalen und rationalen Managementzugänge unterscheiden sich an einem Punkt allerdings kaum: Wenn es um die die Einsicht geht, dass sich Erfolge nicht verstetigen lassen, und dass es (wie beim Grafen von Unheilig) darauf ankommt, den richtigen Zeitpunkt für den Abgang zu finden.
„Abtreten, wenn man die Dinge noch in der Hand hat. Lieber verglühen als verglimmen.” (Reinhard Sprenger)
Dieser Text erschien zunächst in der Huffington Post.