Im neuen Jahrzehnt: Let’s Make Tech Great Again!
Tim Leberecht schreibt in seiner ada-Kolumne über unsere neuen Hoffnungen für digitale Technologien.
Das letzte Jahrzehnt war geprägt von der Macht von Big Tech, den digitalen Plattformen der GAFA sowie der Markt- und Salonfähigkeit der datenbasierten Überwachungsökonomie. Auf das große Versprechen – die Welt zu vernetzen und somit demokratischer und inklusiver zu machen – folgte die große Enttäuschung: statt fliegender Autos und „global village“ bekamen wir tweet-wütende Staatsoberhäupter und zunehmend polarisierte Gesellschaften. Das einzige, was wir am Ende noch gemeinsam zu hatten, war zu Datensätzen reduziert zu werden.
Inzwischen hat nun wohl aber auch der letzte begriffen, dass unsere Zukunft bestimmt sind sein wird von unserer Entscheidung, inwieweit wir es Technologie erlauben, uns zu bestimmen: von KI zu Robotik, von Drohnen zu Gen-Manipulationen. In diesem Sinne gibt uns das gerade begonnene Jahrzehnt die Chance, eine neue Ära einzuleiten in unserer Beziehung zu Technologie, nicht nur weil wir inzwischen des Techlashes überdrüssig sind, sondern weil wir die nächste Generation an Technologie dringend brauchen, um die existentiellen Probleme unserer Zeit zu lösen, allen voran die Klimakrise, und damit zusammenhängend die dramatisch zunehmende soziale Ungleichheit in unseren Gesellschaften. Das Zentrum – lange wird es nicht mehr halten. Die ökologische und gesellschaftliche Balance ist längst zum Drahtseilakt mutiert.
Die einflussreiche US-amerikanische Tech-Journalistin Kara Swisher erhofft sich daher eine Renaissance von „guter Technologie“, für die wir uns wieder begeistern können. Sie prognostiziert, dass der erste Billionär der Welt ein Green Tech-Unternehmer sein wird und dass die nächsten bahnbrechenden Applikationen jene sein könnten, die uns helfen, die gesellschaftliche Zerrüttung aufzuhalten und neues, nachhaltiges Sozialkapital aufzubauen. Der anhaltende Boom der Experience Economy kann dabei helfen, insbesondere dann, wenn diese es zur ultimativen Experience macht, Menschen zu treffen, die nicht so sind wie wir. Gefragt sind mehr Services wie Tastemakers Africa, die Touristen mit lokalen Guides, Unternehmern und Künstlern verbinden.
Mit Blick auf die Klimakrise werden wir uns außerdem sukzessive verabschieden müssen vom Paradigma des „Human-Centered Designs“, das menschliches Wohlergehen (von Silicon Valley vor allem als Bequemlichkeit gedeutet) in den Mittelpunkt der digitalen Wirtschaft stellte. Stattdessen werden wir zum einen KI als echten Partner akzeptieren, und zum anderen der Natur Selbstbestimmungsrechte zurückgeben müssen, die wir ihr über Jahrhunderte gewaltsam entzogen hatten.
Vielversprechend ist in diesem Sinne die Nature 2.0-Bewegung, die auf der Grundlage von Blockchain- und KI Technologien Wälder, Flüsse oder Ozeane zu digital selbstverwalteten Bio-Systemen machen möchte. Zusammen mit den rasanten Fortschritten in der synthetischen Biologie kann diese Art von Technologieeinsatz eine neue Form von Bio-Ökonomie konstituieren, die die digitale Plattformökonomie des letzten Jahrhunderts in Umfang und Wirkung in den Schatten stellt. Wie Juan Carlos Castilla-Rubio, der Gründer von Earth Bank of Codes, feststellt, werden wir durch die fortschreitende Entschlüsselung der DNA allen Lebens bald bis zu 2,000 mal mehr Daten als Rohmaterial für generative Biologie zur Verfügung haben als alle bislang von Facebook, Twitter und YouTube gesammelten Daten zusammen. Und schließlich bietet sogenanntes Geo-Engineering, also die bewusste, großflächige Beeinflussung des Klimas, den allerletzten Rettungsschirm, falls wir es nicht schaffen sollten, unsere Emissionen zu begrenzen.
Dass all diese Entwicklungen mit neuen politischen Konflikten und ethischen Herausforderungen einhergehen, versteht sich von selbst. Es stimmt aber zumindest zuversichtlich, dass es IEEE, der internationale Berufsverband der Ingenieure mit über 400.000 Mitgliedern weltweit, zur Top-Priorität gemacht hat, ethische und nachhaltige Technologie zu fördern.
Und vielleicht haben wir ja aus den letzten zehn Jahren Tech-Herrschaft tatsächlich gelernt und schaffen es, unsere ureigene humane Technologie weiterzuentwickeln: die Fähigkeit abzuschalten und uns vom Malstrom der Daten loszusagen, um neu zu erdenken und zu erfühlen, was wichtig und richtig ist, für uns und unseren Planeten.
Falls uns dies nicht gelingt, dann bleibt immer noch die Hoffnung auf die Singularität, das heißt, eine Generelle KI, die in Bezug auf den Planeten bessere Entscheidungen trifft als wir.
Dieser Artikel erschien in der Frühjahrs-Ausgabe des Magazins ada.