Nach der Coronakrise: Kommt jetzt die Rache der Effizienzritter?
Unternehmen dürfen jetzt nicht härter werden.
von Tim Leberecht
Nicht alles wird sich durch die Coronaviruskrise radikal ändern, aber in jedem Fall wird die Pandemie, und die tiefe Rezession, in die sie uns stürzen wird, einige bereits vor Corona angelegte Konflikte weiter verstärken und einige davon sogar eskalieren.
Dazu zählt auch die Grundspannung zwischen Effizienz und Menschlichkeit, die in unseren Unternehmen angelegt ist. COVID-19 kann nun zwei Folgen haben: auf der einen Seite wurde Unternehmenskultur und -kommunikation quasi über Nacht humanisiert, über reine Marketingfloskeln und Lippenbekenntnisses hinaus. Kinder platzen in Zoom Calls, jeder Tag ist ein „Bad Hair Day“, die Kleidung wird lässiger und wir scheuen uns nicht mehr, rohe, ungefilterte Emotionen, vor allem eben auch negative Emotionen wie Trauer und Angst, in den Berufsalltag einzubringen und offen zu zeigen. Wir sind jetzt alle zusammen allein, unserer eigenen Zerbrechlichkeit bewusst und legen plötzlich eine vergessen geglaubte Innerlichkeit, Güte, Intimität und Solidarität an den Tag.
Wird das so bleiben? Wohl eher nicht. Der neuen Menschlichkeit steht nämlich ein neuer „Ökonomismus“ gegenüber, der im Extremfall sogar eine neue, unheilvolle Allianz mit datenbasierter Überwachung eingehen wird. Das ist natürlich kein völlig neues Schreckgespenst, aber die Pandemie und ihre Folgen mag Unternehmen neue Autorität und Legitimität geben, dieses weiter voranzutreiben und sich voll und ganz einer vermeintlich „objektiven“ Datenrealität zu verschreiben, einem Digitalen Taylorismus ohne Wenn und Aber. Der schlimmstmögliche Ausgang wäre dann eine radikale „objektive“ Datenwirtschaft, die dem Menschen nicht mehr vertraut und keinen Raum mehr lässt für Subjektivität.
Unternehmen werden Stellen und Budgets streichen, und vor allem alles, was als „weich“ und nicht unmittelbar „erfolgskritisch“ empfunden wird. Das ist nachzuvollziehen, denn für viele geht es ums nackte Überleben. Die, die die Krise überstehen werden, sollten jedoch vorsichtig sein, nicht alles, was sie jahrelang mühsam angelegt haben an Unternehmenswerten- und Kultur, den Zwischenräumen und Zwischentönen zwischenmenschlicher Beziehungen, mit zu leidenschaftlicher Rationalität, nüchternem Pragmatismus und bedingungslosem Effiziendenken zu zerstören.
Dass es nach Corona keinen Platz mehr geben wird für Exzesse ist gut, dass es aber auch keinen Raum mehr geben könnte für das Unnötige wäre fatal. Denn genau die Qualitäten, die nicht unmittelbar messbaren Wert schaffen – Empathie, Phantasie, Hoffnung, Nachdenken, Flanieren, (Aus)schweifen – machen uns menschlich und sind der Sauerstoff für neue Innovationen.
Der südafrikanische Zukunftsforscher Anton Musgrave brachte es jüngst wie folgt auf den Punkt: „Wenn die Welt jetzt härter werden sollte statt weicher, dann sind wir alle verloren“.
Unternehmen können ihren Beitrag dazu leisten, dass es nicht dazu kommt.