Maschinen machen uns menschlich
Tim sprach im Rahmen der Handelsblatt Terrassengespräche über die Bedeutung von KI und Automatisierung für Arbeitsmarkt und Gesellschaft.
Computersysteme, die mit künstlicher Intelligenz funktionieren, haben harmlose Namen, sie heißen Alexa, Siri oder Watson. Sie erleichtern das Leben vieler Menschen, aber sie schaffen mitunter auch Unsicherheiten. Unter dem Motto „Magic & Machine: Die Rolle menschlicher Kreativität in Zeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz“ diskutierten der Buchautor Tim Leberecht, („Business-Romantiker“), Fabian Kienbaum, geschäftsführender Gesellschafter von Kienbaum Consultants International, sowie der Markenexperte und Geschäftsführer der Verlagsgruppe Handelsblatt, Frank Dopheide, am Mittwochabend auf der Dachterrasse des Verlagshauses in Düsseldorf. Handelsblatt-Chefreporterin Tanja Kewes führte durch das erste „Düsseldorfer Terrassengespräch“ des Jahres.
Künstliche Intelligenz macht vielen Menschen Angst. Ihnen auch, Herr Leberecht?
Tim Leberecht: Menschen können sich sogar in Maschinen verlieben, das hat der Spielfilm „Her“ sehr schön gezeigt. Für mich ist nicht so wichtig, dass Maschinen den Menschen immer ähnlicher werden. Mir bereitet viel mehr Sorge, dass wir den Maschinen immer ähnlicher werden. Wir versuchen, mit ihnen in puncto Effizienz zu konkurrieren. Die Frage ist deshalb nicht, ob Maschinen denken lernen können, das werden sie sicherlich. Die große Frage ist, ob wir Menschen noch fühlen werden können.
Was haben Sie gefühlt, als Sie das erste Mal mit dem IBM-Supercomputer Watson kommuniziert haben, Herr Kienbaum?
Fabian Kienbaum: Es war lustig. Wir haben mit Watson einen Persönlichkeitstest gemacht, er fand heraus, dass ich ein Maverick sei. Ins Deutsche übersetzt: Musterbrecher – oder Eigenbrötler. Das war interessant zu sehen, wie ich mich da wiedergefunden habe. Die Interaktion mit Watson hat Neugierde bei mir geweckt, und gleichzeitig hat der Computer damit kokettiert, dass er ein Computer ist – und das war interessant. Die Interaktion mit Watson kam mir vor wie die mit einem Menschen.
Leberecht: Das Team von Watson programmiert übrigens bewusst Fehler in den Computer. Oder negative Emotionen wie Trauer. Oder einfach mal einen schlechten Tag haben. Das macht den Supercomputer menschlich.
Welchen Nutzen hat all das für uns Menschen?
Frank Dopheide: Ich habe zum Beispiel Alexa, den vernetzten Lautsprecher von Amazon, ausprobiert. Die nächste Generation kann an der Art, wie wir sprechen, erkennen, wie es uns geht. Das hat große Auswirkungen, wenn Sie sich überlegen, wie einsam und auch depressiv viele Menschen im Alter sind. Bei diesem Thema kann künstliche Intelligenz helfen. Die Computer bauen eine empathische Beziehung auf.
Leberecht: Vielleicht geht es aber auch nicht um eine Bindung an eine andere Person oder an ein Objekt, sondern um unsere Sehnsucht nach Intimität. Intimität hat man, wenn beide Seiten verletzlich oder durchlässig sind. Unter Umständen werden wir eine Methode finden, um diese Sehnsucht nach Intimität maschinell zu stillen.
Kienbaum: Die Technologie wird vieles effizienter machen, viele Berufsgruppen werden überflüssig. Aber am Ende des Tages geht es ja immer noch um den menschlichen Austausch und die Frage, ob die Chemie stimmt. Das wird man maschinell nicht darstellen können. Künstliche Intelligenz ist kein Substitut, aber sie wird Prozesse verändern.
Gibt es bestimmte Berufe, die wohl überflüssig werden?
Kienbaum: Das Ergebnis der Studie von Frey und Osborne ist sinngemäß: Der Schneider wird verschwinden, der Physiotherapeut überlebt. Es gibt eine Website der BBC, auf der man eingeben kann, ob der eigene Beruf von einem Roboter ersetzt werden kann. Tech-Consultants haben übrigens eine Substitutionsrate von 96 Prozent.
Leberecht: Alles, was linear ist und standardisiert werden kann, wird ersetzt. Steuerberater werden ersetzt, Künstler dagegen bleiben. Alles, was eine Mehrdeutigkeit und eine Intimität besitzt, hat auch eine Zukunft.
Das wird die Gesellschaft massiv verändern …
Leberecht: Es schließen sich auf jeden Fall viele Fragen an: Wie können wir zum Beispiel die Menschen, die sich nicht mehr in den Arbeitsmarkt einbringen, in die Gesellschaft integrieren? Wenn Arbeit nicht mehr im Mittelpunkt steht, was ist dann der Sinnstifter in deren Leben? Wie verhindern wir eine Massendepression? Das wird ein großes gesellschaftliches Problem werden.
Herr Dopheide, Sie haben sich viel mit dem Thema Mensch und Marke beschäftigt. Was können wir tun, um weiter eine Beschäftigung zu haben?
Dopheide: „Change the battlefield“ – nehmen Sie es nicht mit einem Computer in einem Feld auf, von dem Sie wissen, dass er besser ist als Sie. Der große Vorteil für uns Menschen ist, dass Computer keinen Charakter haben. Am Ende vertrauen Menschen nun mal Menschen. Selbst das Silicon Valley hat das erkannt. Die gefragtesten Leute sind dort gerade diejenigen, denen man eine hohe Empathie zuschreibt – die Drehbuchautoren, Philosophen, Bühnenbildner.
Mehr Maschinen bedeutet also mehr Menschlichkeit …
Leberecht: Unternehmen merken jetzt, dass Menschsein das neue Öl ist. Sie hören plötzlich zu, selbst sehr prozessgetriebene Dax-Konzerne.
Wie müssen sich Führungskräfte in einer solchen Welt verändern?
Kienbaum: Führungskräfte müssen zum einen digitale Kompetenzen haben, zum anderen müssen sie emotionale Menschen steuern. Die gängigen Arbeitsprozesse, die sehr effizient und statusorientiert sind, sind dabei nicht gerade dienlich. Man muss sich neue Modelle überlegen, wie man miteinander agieren kann. Führungskräfte müssen umdenken.
Leberecht: Wir bewegen uns weg von einer „Knowledge-Economy“. Wissen anzuhäufen und abzufragen wird nicht mehr entscheidend sein. Die menschliche Führungskraft wird ihre Gabe zur Inspiration auszeichnen. Diese basiert auf Empathie, auf Vorstellungsvermögen, aber auch auf Verletzlichkeit. Das macht uns erst menschlich. All diese Sachen, die wir früher als weich belächelt haben, werden die harten Faktoren sein. Führungskräfte können voranschreiten, indem sie menschlich sind, manchmal auch unberechenbar – und eben nicht wie eine Maschine funktionieren. Führungskräfte sind in der Pflicht, das vorzuleben.
Wo lauern die Gefahren?
Leberecht: Die größte Gefahr ist die Monopolisierung – Amazon, Google, Facebook und Apple gehören zu den wertvollsten Unternehmen weltweit. Die Frage ist, ob wir sie überhaupt noch einfangen können. Wir brauchen einen Gegenentwurf, eine Alternative. Es gibt nicht nur eine Wahrheit, eine Welt, sondern immer auch eine Parallelwelt. Die Plattformen haben schon wahnsinnige Daten angehäuft, die wir ihnen freiwillig geschenkt haben – das macht mir Angst.
Dopheide: Die Großmeister der Algorithmen sind alle männlich, weiß, jung. Sie haben ein einheitliches Weltbild – das macht die Welt, die sie schaffen, sehr eindimensional. Hinzu kommt: Wenn die Unternehmen mir die Entscheidungen abnehmen, verliere ich das Verantwortungsgefühl dafür.
Was geben wir unseren Kindern mit auf den Weg?
Leberecht: Wenn ich meiner siebenjährigen Tochter eines mitgeben möchte, dann dass sie möglichst viele duale Welten kennen lernt. Möglichst flexibel zwischen Realitäten wandeln. Ob zwischen echter und virtueller Welt, zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz. Oder andere Sprachen und Kulturkreise. Diese Flexibilität wird immer wichtiger werden.
Dieser Artikel erschien im Handelsblatt.
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