Mehr Mut zur Romantik in der Wirtschaft
Wider die Tyrannei des Jetzt und für eine subjektive, emotionale, and zutiefst humanistische Welt
Die Bezeichnung „Business-Romantiker“ haben Sie erfunden. Verraten Sie uns, wie Sie darauf gekommen sind und was der Anlass war.
Eigentlich wollte ich ein Buch über Wirtschaft und Sinnstiftung schreiben, aber je mehr ich in das Thema einstieg, desto mehr stellte ich fest, was mich eigentlich bewegt und wohl auch als Person charakterisiert: ein romantisches Verhältnis zur Welt – und zur Arbeit. Ich wusste schon immer, dass ich ein Romantiker bin, aber je mehr Zeit ich damit verbrachte, die Prinzipien von Sinnstiftung durch die Wirtschaft zu verstehen und zu erläutern, desto mehr begriff ich, dass die alle eines gemeinsam haben: eine romantische Dimension, im Sinne der literarischen und philosophischen Bewegung gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wir brauchen eine neue romantische Bewegung. Wie damals die Romantiker – Novalis, William Blake oder Lord Byron – aufbegehrten gegen den Alleinanspruch der Vernunft und der empirischen Wahrheit, so sollten wir jetzt aufbegehren gegen die Entzauberung der Welt durch die Ökonomisierung und nun zunehmend auch durch die Datafizierung und Quantifizierung unserer Identitäten und Beziehungen, weit über den Arbeitsplatz hinaus. Wir brauchen wieder mehr Romantik in unserem Leben, und Business ist dafür die perfekte Bühne und das effektivste Mittel.
Was ist ein Business-Romantiker genau? Wie denkt, handelt und fühlt er?
Ein Business-Romantiker sucht nach dem unermesslich Schönen im Profanen und er sucht ständig nach mehr Bedeutung – in allem. Er vertraut seiner Intuition und seinen Gefühlen ebenso, wie Daten und rationaler Analyse. Er trifft Entscheidungen stets auch mit dem Herzen, nicht nur mit dem Verstand. Er handelt sogar manchmal irrational, gegen die Gesetze der Logik. Er ist mehr Künstler als homo faber, mehr Kreativer als Analytiker. Er weiß, dass es da immer noch verborgene Welten gibt, die im Tiefen schlummern, die wir nicht vermessen und kommerzialisieren und vielleicht sogar überhaupt nicht berühren sollten. Er hat Dinge, die ihm heilig sind. Er verliebt sich Hals über Kopf in neue Ideen und Initiativen, und ist mit dem ganzen Herzen bei der Sache, auch wenn das manchmal wehtut. Der Business-Romantiker ist also das Gegenstück zum Zyniker, der „den Preis von allem kennt, aber den Wert von nichts“ (Oscar Wilde) und sich nach der Devise „Ach, das wird ja eh nix“ hinter vorauseilender Resignation verschanzt. Der Business-Romantiker wendet sich auch ganz entschieden gegen jene Datenanalysten, die glauben, in den Daten eine alleingültige, objektive Wahrheit gefunden zu haben.
Auf welche Dinge legt er im Berufsleben besonderen Wert?
Neugierde, Spontanität, Kreativität, Vorstellungskraft, Verletzlichkeit, Schönheit, Eleganz, Drama, Konflikt und Abenteuer.
Wie fängt man idealerweise an, um irgendwann ein formvollendeter Business-Romantiker zu sein? Wie kann man seinen moralischen Kompass neu justieren?
Der romantische Dichter William Wordsworth hat es so formuliert: „To begin, begin.“ Oder um es mit Nike’s Markenmotto zu sagen: „Just do it.“ Ich will damit sagen, dass es zunächst einmal wichtig ist, dass man eine romantische Sensibilität erwirbt, dass man das Geschäftsleben mit anderen, frischen Augen betrachtet und andere Bezugspunkte schafft. Die Amerikaner nennen das „Re-Framing“. Das bedeutet für den Business-Romantiker, eine romantische Brille aufzusetzen, buchstäblich. Im Deutschen wird das schnell als „rosarote Brille“ abgetan – aber Schönheit liegt eben tatsächlich im Auge des Betrachters. Konkret kann dies zum Beispiel bedeuten, dass Sie das Wort „romantisieren“ nicht mehr rein negativ verwenden und dass Sie in Meetings offen über Ihre Gefühle sprechen. Oder dass Sie morgen einfach einmal ganz bewusst als andere Person am Arbeitsplatz auftauchen. Wie die US-Autorin und Sozialpsychologin Amy Cuddy festgestellt hat, ist „So tun als ob“ oft der direkteste Weg zum tatsächlichen „Sein“. Wichtig ist allerdings, dass man Business-Romantik nicht gleich zur Chefsache erklärt oder firmenweit formalisiert. Das wäre nämlich kontraproduktiv und würde die Romantik im Ansatz zerstören.
Wir verbringen heutzutage den größten Teil unseres Lebens mit Arbeit. Was sind die negativen Merkmale unseres modernen, vernetzten Zeitalters? Und welche positiven sehen Sie?
Unser vernetztes Zeitalter führt unweigerlich zu Datafizierung, Quantifizierung und Automatisierung. Wenn Sie heute Wirtschaftsmagazine aufschlagen, dann lesen Sie vom „algorithmischen CEO“, „algorithmischen Recruiting“ und „algorithmischen Unternehmen.“ Damit einher geht der Aufschwung von Virtual und Augmented Reality sowie von künstlicher Intelligenz. Bill Gates hat zuletzt ja große Besorgnis bekundet angesichts des dahingehend rasanten Fortschritts. Die große Frage aber wird sein, wie human unsere Arbeitswelt noch sein wird. Super-intelligente Maschinen werden denken können, ganz klar – aber werden wir Menschen noch fühlen können? Ich glaube, dass wir für unser „nicht-quantifizierbares Selbst“ kämpfen müssen, dass wir den Freiraum verteidigen müssen, in dem wir noch Narren sein können. Wir sind eben keine Produktivitätsmaschinen, die objektiv und fehlerfrei Resultate liefern. Wir sind soziale Wesen und fühlen uns hingezogen zu Unternehmen, weil sie soziale Experimente sind mit offenem Ausgang.
Sie glauben daran, dass die Verheißung über die Erfüllung siegt. Erläutern Sie uns bitte diese Sichtweise.
Das ist der Kern der Romantik: das Versprechen, die Sehnsucht, die Hoffnung auf eine andere, verborgene oder unentdeckte Welt. Das sind gleichzeitig auch die Prinzipen der romantischen Liebe: das Kennenlernen, sich gegenseitige Abtasten, die Spannung, das Ungewisse, das jedes Abenteuer ausmacht. Clevere Marken wie Apple oder auch Automobilhersteller verstehen das natürlich. Der Zauber des Versprechens und der schrittweisen Enthüllung sind starke Faktoren ihrer Markenattraktivität. Am Arbeitsplatz hingegen sind wir darauf bedacht, Ungewissheit und Risiko zu minimieren. Wir leben in einer binären Wirklichkeit – oder der Illusion davon – in der es meist nur um Ergebnisse geht und in der die Zahlen die Geltungshoheit haben. Erst nach und nach begreifen Unternehmen, wie wichtig Absichtserklärungen und Missionen sind – letztlich ja alles Verheißungen und Versprechen – und eben nicht nur die letzte Quartalsbilanz. Insbesondere für jüngere Erwerbstätige werden die Werte des Unternehmens und auch die Kultur am Arbeitsplatz immer wichtiger, um aus der eigentlichen Arbeit mehr Sinn zu schöpfen.
In Ihrem neuen Buch schlagen Sie konkrete Techniken vor, mit denen man Marken und Produkte emotionaler und den eigenen Arbeitsalltag träumerischer gestalten kann. Gewähren Sie uns bitte einen kleinen Einblick.
In meinem Buch präsentiere ich sogenannte „Regeln für Business-Romantiker“ sowie ein Einsteigerpaket, das konkrete 15 Schritte vorschlägt. Die Regeln reichen von „Gib mehr als du nimmst“ über „Hüte das Geheimnis“ und „Tu so, als ob“ bis hin zu „Steh still und tue nichts.“ Alle diese Regeln hinterfragen typische Konventionen. Mit „Hüte das Geheimnis“ zum Beispiel wende ich mich gegen den Glauben, dass Transparenz immer gut ist, und zeige auf, wie kleine Geheimnisse und Rätsel die Phantasie auf Trab halten. Letztlich geht es bei allen Regeln darum, das Vertraute wieder fremdartig, ja sogar etwas seltsam zu machen. Kleine Manipulationen, kleine „Hacks“, kleine Tabubrüche wirken da buchstäblich Wunder.
Was denken Sie, wird künftig unseren Arbeitsalltag beeinflussen? Wie wird er aussehen und welche Chancen wird er für uns bereithalten?
Wir erleben die „Consumerization“ der Arbeitswelt. Wenn Sie sich als Verbraucher an Smart Phones und Games erfreuen, dann ist es schwierig, bei der Benutzung von CRM-Software oder Excel-Datenbanken die gleiche Freude zu empfinden. Die „Verzauberung“ der Wirtschaft muss daher in allen Bereichen stattfinden, von den operativen Prozessen zu HR, von der Kommunikation zu den Benutzeroberflächen der IT-Systeme. Firmen wie BMW, Airbus oder SAP haben das schon begriffen und investieren in Kreativität und Design, um die „Enchantment Gap“ zu verringern und sowohl Mitarbeitern wie auch Kunden Momente des Glücks und der Freude zu bereiten, die über die rein zweckorientierte Nutzung hinausgehen. Das alles steht unter der Losung „humanere Wirtschaft“. Wir erleben flexiblere Arbeitszeiten, Tele-Arbeit und mehr Informalität. Die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit wird weiter zerfließen, so dass Cocooning und Privatheit dann eben im Büro stattfinden. Wir werden weniger Arbeit mit nach Hause nehmen, aber mehr von uns selbst mit zur Arbeit bringen.
Wie definieren Sie für sich den Begriff „Erfolg“?
Freudentränen.
(Quelle: Dieses Interview erschien zunächst im Prokom Produktkulturmagazin Ausgabe 01/2015). Auch erschienen als Teil der “Gesichter der Nachhaltigkeit“-Kollektion