SuD: Wann in Ihrer eigenen Karriere haben Sie gemerkt, dass Sie sich nach einem bedeutungsvolleren Arbeiten sehnen?
Leberecht: An der Arbeit habe ich immer gelitten. Nachdem ich Kulturwissenschaften studiert hatte, versuchte ich zunächst äußerst erfolglos, eine Musikkarriere zu machen. Irgendwann landete ich im Marketing. Die Branche erschien mir stabiler. Es hat auch viel Spaß gemacht. Aber nach ein paar Jahren, als ich in den USA Marketingabteilungen leitete, gab es viele Momente, in denen es nur noch um reines Profit- und Effizienzdenken ging und nicht um die kreativen, menschlichen und schönen Seiten des Business. Ich war erstaunt, wieviel Wert da vernichtet wird. Erst 15 Jahre in meine Karriere hinein habe ich den Mut und das Selbstbewusstsein entwickelt zu sagen: „Das kann es nicht sein. Es muss auch eine andere Wirklichkeit geben. Also schrieb ich mein eigenes Manifest. Die Resonanz auf „Business-Romantiker“ hat mir gezeigt, dass es einen riesigen Bedarf gibt an alternativen Arbeitsmodellen. Das, was die meisten Menschen am Arbeitsplatz erleben, reicht einfach nicht aus.
SuD: Kann auch ein Callcenter-Mitarbeiter magische Momente in seinem Arbeitsalltag erleben?
Leberecht: Ich habe als Student selbst Telemarketing gemacht. Der Umgang mit den Kunden ist ehrlich und direkt und hat eine gewisse Intimität. Der Onlinehändler Zappos wurde dafür bekannt, dass er seine Callcenter-Mitarbeiter dafür belohnt, wieviel Zeit sie am Telefon verbringen, statt dafür, wie viele Anfragen sie in einer Stunde unterbringen. Das ganze Effizienzprinzip stellte Zappos also auf den Kopf und das in der hocheffizienten, prozessorientierten Industrie des Onlinehandels. Ich glaube also, auch als mechanischer Arbeiter hat man die Möglichkeit, eine gewisse Weltanschauung oder Haltung mitzubringen und seine Arbeit anders zu sehen und zu erfahren. Diese individuelle Macht hat jeder.
SuD: Wie groß ist überhaupt der Anteil an romantisch veranlagten Mitarbeitern?
Leberecht: Nicht jeder Mensch sieht jeden Tag in seinem Leben immer nur romantisch. Aber ich denke, dass sich viele Menschen mehr Verlässlichkeit, mehr Schönheit auch am Arbeitsplatz wünschen. Nicht nur im Sinne von Ästhetik, sondern schöne Momente, einen intimeren Umgang mit anderen, die Möglichkeit, als voller Mensch stattzufinden anstatt nur zu funktionieren. Doch es gibt auch eine große Angst, sich im Beruf als Romantiker zu outen. Man könnte sich verletzlich machen, als weich empfunden werden. Deshalb hängt es stark von den Führungskräften und der Unternehmenskultur ab, ob es erlaubt ist, romantische Aspekte bei der Arbeit auszuleben. Aber selbst bei ingenieursgetriebenen Unternehmen wie IBM, UPS oder Airbus habe ich gemerkt, wie stark die Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben und nach weniger Routine ist. Dieser Bedarf wird sich in den nächsten Jahren eher intensivieren.
SuD: Immer mehr Unternehmen gestalten ihre Arbeitsplätze neu: Mit Relaxzonen, Umwegen und viel Spielraum für Begegnung. Sind wir schon auf dem Weg in eine neue Unternehmenskultur oder sind das nur Äußerlichkeiten?
Leberecht: Campusartige Arbeitsplätze, gutes Essen, Massage und schöne Möbel sind natürlich gut, aber man darf sie nicht überschätzen. Romantik hat mehr mit Bedeutung zu tun als damit, die Dinge bequemer zu machen. Viel wichtiger ist, dass die Arbeitsplatzgestaltung wirklich die Kultur und das Wesen eines Unternehmens ausdrückt. Für manche Unternehmen sind vielleicht Cubicles besser, für andere kann es ein großer Newsroom sein. Authentisch muss es sein. Doch Äußerlichkeiten sind immer ein Anzeichen, dass ein Umdenken stattfindet. Wonach sich gerade die Millenials wirklich sehnen, ist, mehr Sinn zu erleben. In einem Unternehmen zu arbeiten, dass eine starke Mission hat, mit der sie sich identifizieren können, aber vor allem zu lernen, sich selber auszuprobieren und in einer gewissen Weise Grenzerfahrungen zu machen. Die kommen nicht unbedingt von Arbeitsplätzen, wo alles perfekt ist und gut funktioniert, sondern von Arbeitsplätzen, die reich sind, die Reibung bieten, wo man herausgefordert wird.
SuD: Wie sieht ein romantischer Führungsstil aus?
Leberecht: Ich hatte mal einen Chef, der nach einem sehr anstrengenden Meeting mit Investoren geweint hat. Dieser eine Moment hat mich an meinen Chef glauben lassen, mehr als jeder inspirierende Vortrag. Ich würde mir wünschen, dass mehr Führungspersönlichkeiten den Mut haben emotional zu sein. Dass mehr CEOs zugeben: „Ich weiß es nicht. Ich bin genauso verwirrt und überfordert wie du.“ Romantiker sind das Gegenteil von Micromanagern. Sie haben eine Vision, können die aber auch anpassen, sind durchlässig, empathisch und bescheiden. Ich glaube, eine gewisse Verletzlichkeit würde wesentlich mehr Motivation, Identifikation und Unterstützung vom Team bewirken als dieses verzweifelte Streben nach eindeutigen Wahrheiten.
SuD: Warum ist es nicht nur gut für die Stimmung, sondern auch wirtschaftlich, auf Werte wie Gefühl, Geheimnis und tiefere Bedeutung zu setzen?
Leberecht: Wenn wir für das Andersdenken mehr Raum schaffen, dann hat das wirtschaftlichen Nutzen: Unternehmen werden innovativer, ziehen andere Talente an, schaffen mehr intrinsische Motivation. Aber Unternehmen haben auch eine immense soziale Verantwortung. Arbeit ist inzwischen einer der wenigen Orte, wo wir noch Menschen begegnen, die nicht Teil unseres unmittelbaren, sorgfältig kuratierten sozialen Netzwerkes sind. Deshalb sollten Unternehmen Werte vorleben und prägen und ein Menschenbild demonstrieren, dass breiter ist als das rein rationale, neoliberale Bild des ökonomisch handelnden Menschen. Es hat auch einen größeren gesellschaftlichen Nutzen, dass wir wieder zu einer Gesellschaft werden, die Gefühl und Irrationalität zulässt. Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche ist so fortgeschritten, dass wir nur noch dem Wert geben, was wir messen können. Wir denken nur noch ans Gewinnen, auch in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, Liebe oder Politik.
SuD: Wo wir gerade von Politik sprechen: Ist Donald Trump das Zerrbild des Business-Romantikers? Schließlich hat er seine Vision an viele Menschen herangetragen.
Tim Leberecht stöhnt gequält. Romantiker ist er ganz sicher nicht. Trump ist der Inbegriff des Zynikers. Wie Oscar Wilde so schön gesagt hat: Er kennt den Preis von allem, aber den Wert von nichts. Aber er hat es geschafft, Ängste zu fassen und durch einen autoritären Führungsstil und eine absolut klare und simple Losung eine Bewegung zu schaffen. Gerade in Zeiten von Trump und Brexit brauchen wir wieder mehr Romantik für die Politik, für liberale Demokratie, für Europa und die Welt. Wir dürfen Emotionalität und die Sehnsucht nach Transzendenz nicht den extremen, nationalistischen oder populistischen Richtungen unserer Gesellschaft überlassen.