Nachhaltig und romantisch
So nutzt Charles seine Prinzenrolle
Wer die Welt retten möchte, ist meistens selbst nicht von anderen gerettet worden – „Unordnung und frühes Leid” prägte ihr Leben, das sie allein in den Griff bekommen mussten, aber es erst im Erwachsenalter wirklich begreifen konnten.
Aus ihrem Alleinsein ziehen die modernen Business-Romantiker heute die Kraft, die Welt reparieren zu müssen. Sie suchten nach Fluchtwegen aus ihrer zerrissenen (Elon Musk) und durchgeplanten (Prinz Charles) Existenz in eine Welt, in der sie eine andere Art von Ordnung wahrnehmen.
Die neuen Weltretter
Das haben Prinz Charles und der US-Unternehmer Elon Musk gemeinsam: Sie setzten sich immer viel höhere Ziele als ihre Mitmenschen und suchten nach Lebenssinn – und wollen noch immer die geschundene Natur heilen.
Charles war ein Wegbereiter des Umweltgedankens. Erstmalig sprach er im Alter von einundzwanzig Jahren in der Öffentlichkeit über Umweltfragen: Wir müssten uns „im Interesse unseres Wohlergehens … Einschränkungen und Regulierungen auferlegen”.
Später wurde er präziser: „Meine größte Sorge ist es, dass wir in vollem Bewusstsein und in einem ungeheuren Tempo die Chancen zukünftiger Generationen zerstören, weil wir nicht erkennen, welchen Schaden wir der natürlichen Umgebung zufügen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies der einzige Planet ist, auf dem unseres Wissens Leben möglich ist”.
Kernthemen
Heute steht er fünfzehn Organisationen im Vereinigten Königreich und weiteren im Ausland vor, die sich grob in vier Kernthemen gliedern lassen:
_ „verantwortliches Unternehmertum”
_ „Bildung und junge Menschen”
_ „die bebaute Umwelt”
_ „globale Nachhaltigkeit”.
Der Prince’s Trust
Verantwortlich ist er für neun bewusstseinsfördernde Initiativen, darunter Accounting for Sustainability, die Prince of Wales Charitable Foundation. Der Prince’s Trust basiert auf der Idee, Teufelskreise in ihr Gegenteil zu verwandeln: vom Circulus vitiosus zum Circulus virtuosus.
Hier wird der zerstörerische Weg von kindlicher Vernachlässigung, Verhaltensauffälligkeit, Bildungsferne, Perspektivlosigkeit, Verbrechen, Drogen, Alkoholabhängigkeit in neue Bahnen gelenkt, in der sich die Aussicht auf ein besseres Leben bietet.
Zur Arbeitsweise des Prince’s Trust gehört die Futurpreneur-Methode: „Wir achten auf den Charakter, nicht auf Begleitumstände, wenn wir junge Leute zwischen achtzehn und neununddreißig durch Coaching, Business-Ressourcen, Start-up-Finanzierung und Beratung unterstützen, damit sie erfolgreiche Geschäftsmodelle entwickeln und erhalten”, heißt es auf der Website. Wie die meisten seiner gegründeten Stiftungen entstand auch diese nicht nach einem ausgereiften Konzept, sondern als Folge einer spontanen Idee.
Alles hängt mit allem zusammen
2010 veröffentlichte Charles zusammen mit Ian Skelly und dem Umweltpolitiker Tony Juniper das Buch „Harmonie – Eine neue Sicht unserer Welt”, das mit dem Satz beginnt: „Dies ist ein Aufruf zur Revolution.”
Es ist sein Manifest, das seine Beschäftigung mit scheinbar unzusammenhängenden Themen wie Architektur, ganzheitliche Medizin, Ökologie, Bildung, Aussöhnung der Religionen, Handel und Konsum enthält.
Er zeigt darin, dass alles miteinander verbunden ist – durch den „goldenen Faden uralter Einsichten”. Die Natur wird hier durchgängig als „Wesenheit” im Gegensatz zum „Objekt” bezeichnet, zu dem sie in der Aufklärung wurde: „Aus ‚sie’ wurde ‚es’.”
Ein harmonisches System
Das Wort Harmonie geht auf das altgriechische harmonia (Dinge zusammenzufügen) zurück. Die Natur bildet ein harmonisches System. Der Dokumentarfilm des gleichen Titels von den US-Filmemachern Julie Bergman Sender und Stuart Sender hatte 2012 Premiere. Die Botschaft lautet auch hier:
Die modernistische Denkweise spaltet uns von der Natur ab und damit auch von der Dreifaltigkeit der platonischen Werte, die sie verkörpert: dem Guten, Wahren und Schönen. Das Ergebnis ist Entfremdung und Zerstörung.
Doch es bleibt (gerade noch”) Zeit, wieder Zugang zu den ursprünglichen Werten zu finden, indem Circuli virtuosi” (sich fortsetzende Kreise des Guten) geschaffen werden.
Zukunft. Macht. Arbeit.
„Er ackert wie ein Pferd”, sagt der ehemalige Privatsekretär von Charles, Clive Alderton. „Das ist einer der Gründe, warum die Menschen, die ihm nahestehen, an ihn glauben.” Auch das verbindet den Thronfolger mit Elon Musk, der eine Vision ohne Kompromisse verfolgte, auch wenn sich seine Ziele anfangs für viele absurd anhörten. „Er arbeitet immer mit einem anderen Verständnis der Realität als der Rest von uns”, sagt ein Begleiter.
Nie war er auf kurzfristige und belanglose Erfolge fixiert. Auch nicht als junger Mann. Bis zur Mitte seiner Teenagerjahre vermischte er Fantasie und Realität so weit, dass sie in seinem Kopf kaum zu unterscheiden waren. Und irgendwann sah er dann „die Sicherung einer Zukunft für die Menschheit im All als seine persönliche Verpflichtung an”.
Von Mitschülern gequält
Als Kind wurde der Unternehmer wie Charles von seinen Mitschülern gequält. Drei oder vier Jahre lang musste er ertragen, dass die Schläger gnadenlos Jagd auf ihn machten. Später arbeitete er „unmenschlich viel”.
Das Internet, erneuerbare Energien und Raumfahrt waren für ihn später jene Bereiche, in denen er viel bewegt hat: „Zip2, PayPal, Tesla, SolarCity – all das sind Ausdrucksformen von Musk.” Nie verkaufte er einfach nur Produkte, sondern auch das Gefühl, an der Zukunft teilzuhaben, sie mitzugestalten.
Es sind die Enkel der Menschen, um die sich auch Prinz Charles sorgt – doch das Problem ist, „wenn man so langfristig denkt, dann verstehen die Anderen nicht immer, wovon man die ganze Zeit redet.”
Unbeholfene Träumer
Nachhaltigkeit braucht ständige Übersetzung und Praxis. Aber neben Wirklichkeitssinn auch eine Portion Business-Romantik. Tim Leberecht zeigt in seinem aktuellen Buch, dass die beiden Begriffe „Business” und „Romantik” an dem Konflikt in uns allen rühren: Welche Rolle kann und sollte die Wirtschaft in unserem Leben spielen?
Business-Romantiker begreifen, dass diejenigen, die mit der Gegenwart nicht einverstanden sind, die Zukunft oft klarer sehen. Sie setzen sich leidenschaftlich für die Fundamente unserer Bildung ein – wie Prinz Charles und Elon Musk.
Nach der Lektüre des Buches von Tim Leberecht erscheinen beide umso klarer als Business-Romantiker, die zugleich wie ein moderner Peter Schlemihl erscheinen. Seine „wundersame Geschichte”, geschrieben vom französischen Emigranten Adelbert von Chamisso, erschien 1814.
Wo Schlemihl auch ging, stieß er sich wie die neuen Romantiker an der Welt und zeigte dadurch, wie sie ist. Das häufig böse gemeinte Scheltwort “unbeholfener Träumer ” gilt ihm und allen, die das Los der Fremdheit teilen und sich in ihrer eigenen Welt verankern, als Ehrentitel.
Der Pflanzenflüsterer
Charles wurde oft als Pflanzenflüsterer karikiert – auch der Peter Schlemihl zog als Botaniker einsam durch die Welt. Die Unbeholfenheit des Prinzen bringen seine Biographen vor allem mit seiner drängenden Suche in Verbindung, die Welt zu verstehen und zu verbessern. Dass ihm dabei oft ein „Filter zwischen Hirn und Mund” fehlt, macht ihn nur umso sympathischer.
Die Biographen von Charles und Musk beschreiben beide als Bücherwürmer, die ihrer Umwelt seit Kindheitstagen durch ihre körperliche Unbeholfenheit auffallen. Auch lieben beide die Verkleidung und das Tanzen:
Die Bilder von Prinz Charles beim Schwertertanz während seiner Reise nach Saudi-Arabien im Februar 2014 gingen um die Welt. „Er liebt es, sich zu verkleiden und zu tanzen”, meint einer seiner Freunde. Hätte er die Möglichkeit, für einen Tag in ein anderes Leben zu schlüpfen, würde er nicht lange zögern.
Maskenbälle
Auch Elon Musk liebt Musk Maskenbälle: „Bei einem davon erschien er als Ritter verkleidet und focht mit einem Sonnenschirm ein Duell gegen einen Zwerg im Darth-Vader-Kostüm.”
Genau das macht das Wesen der Romantiker nach Leberecht aus: Sie zelebrieren „die Sensibilität für das Magische, für den Fake und nehmen gleichzeitig allgemein akzeptierte Wahrheiten auseinander”, sie suchen nach Mehrdeutigkeiten in allen Lebensbereichen, sind Querköpfe und Rebellen, die gesetzte Normen in Frage stellen.
Der Prinz in uns: Amateure der Nachhaltigkeit
Was Charles, Musk und die Business Romantiker verbindet, ist aber auch ihre Einsamkeit, die das eigentliche „Wesen von Führung” ausmacht: „Die Position des Anführers ist letztendlich eine äußerst einzelgängerische, sogar äußerst einsame”, bestätigt Tim Leberecht.
Wer das versteht, weiß auch, was „Nachhaltigkeit” bedeutet und kann sich selbst auf den Weg machen, der alle Themen verbindet, die sich in diesem Begriff sammeln.
Wenn Charles von sich selbst als Amateur spricht, der sich in Gebiete vorwagt, für die ihm die Fachkenntnisse fehlen, so gehen auch von dieser Aussage Impulse aus, die sich wiederum bei Tim Leberecht finden, für den ein Amateur zuallererst jemand ist, der das Lernen liebt:
„Der Amateurgeist erfrischt unsere Augen: Er erlaubt uns, das Fremde im Gewohnten zu entdecken und es neu zu würdigen.” Das ist der Anfang von allem.
Literatur:
Catherine Mayer: Charles. Mit dem Herzen eines Königs. Die Biografie
Wilhelm Heyne Verlag, München 2015.
Ashlee Vance: Elon Musk. Tesla, PayPal, SpaceX. Wie Elon Musk die Welt verändert. Die Biografie. FinanzBuch Verlag, München 2015.
Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Aus dem Amerikanischen von Niklas Hofmann
Droemer Verlag München 2015
Dieser Artikel von Alexandra Hildebrandt erschien zunächst in der Huffington Post.