Neuanfang mit Amateuren
Tim Leberechts Kommentar zum notwendigen Struktur-und Kulturwandel beim DFB
von Alexandra Hildebrandt
Revolution verdient ihren Namen erst, wenn mit ihr etwas Neues beginnt. Ein „Neuanfang”, schreibt Hannah Arendt in ihrem Buch „On Revolution” (1963). Beim DFB gab es ihn zuletzt 2004, als Jürgen Klinsmann dort jeden Stein umdrehte und forderte, „notfalls den ganzen Laden auseinanderzunehmen”.
Als Bundestrainer stellte er sein Konzept der Nachhaltigkeit vor, das konsequente Reformen beinhaltete und auch gegen Widerstände durchgesetzt wurde. Es war der einzige Weg, um sich sportlich zu erneuern und 2014 den Weltmeister-Titel zu gewinnen.
„Nun wäre der Zeitpunkt da, um nach der fußballerischen auch die verbandsinterne Wende im DFB zu vollziehen”, schreibt der Sportjournalist Michael Horeni, der allerdings beklagt, dass diesmal nur die Welt der alten Fußballfunktionäre untergeht.
Eine neue sei nicht in Sicht. Und auch kein Klinsmann – sondern der DFB-Schatzmeister und CDU-Politiker Reinhard Grindel, der nach dem Willen der Amateure DFB-Präsident werden soll.
Michael Horeni hat Recht: Der deutsche Funktionärsfußball hat nicht nur ein Nachwuchs-, sondern vor allem auch ein Qualitätsproblem, das sich Strukturen verdankt, die nicht mehr zeitgemäß sind, aber wohl auch nicht von Reinhard Grindel geändert werden:
So soll der Verband auf Wunsch der Amateurvereine vom Präsidenten weiter ehrenamtlich geführt werden, deren größter Lohn öffentliche Aufmerksamkeit ist.
Verbandssysteme werden künftig ohne professionelle Strukturen von Wirtschaftsunternehmen nicht überleben können. Denn die drängenden Herausforderungen der Gegenwart lassen sich nicht mehr mit Mitteln der Vergangenheit, die nur den „Normalfall” kannte, verwalten.
Es wird künftig immer mehr Ausnahmesituationen geben, die eine andere Führung und ein anderes Management brauchen. Doch eine Führung wie in der Wirtschaft steht nach DFB-Angaben nicht zur Diskussion.
Lenkungskreise vs. Talent, Teilhabe und Technologie
In der letzten Zeit wurde viel über das Zukunfts- und Vorzeigeprojekt, die DFB-Akademie in Frankfurt (Galopp-Rennbahn), geschrieben, die den „neuen” DFB repräsentieren und auf drei Säulen fußen soll: Aus-/Fortbildung, Nationalmannschaften, Entwicklung & Innovation (Think Tank/Open Innovation Network, Technology Lab, Wissensmanagement und Kommunikation).
Die „Die Zukunft im Zeitraffer” sieht nach DFB-Angaben so aus:
„2016 Übergabe des Geländes. 2017 Baubeginn. 2018 Fertigstellung. 2019 Einzug. Zeitraffer Ende. Die Zukunft des Fußballs hat begonnen, der neue DFB hat seine Form schon gefunden. Und die DFB-Akademie ihr Konzept.” (DFB-Journal 3/2015)
Allerdings soll die Akademie „unter dem Dach des Verbandes angesiedelt bleiben”, so Horeni. Ein eigenes und selbstverwaltetes Budget sei nicht vorgesehen. Über die Transparenz der Finanzierung und der Rolle der Gemeinnützigkeit ist kaum etwas zu lesen, was der Gesamtentwicklung im Fußball entspricht:
Die meisten der 209 Fußballverbände des Weltfußballverbandes FIFA veröffentlichen keine oder nur sehr wenig Informationen über ihre Aktivitäten und Finanzen. Zu diesem Ergebnis kommt ein am 19. November 2015 veröffentlichter Bericht von Transparency International. Der DFB schneidet im internationalen Vergleich nur mittelmäßig ab.
„Es wäre wünschenswert, wenn auch der DFB seinen Finanzbericht jährlich auf seiner Webseite veröffentlicht”, heißt es im Newsletter 09/2015 (18.12.2015) von Transparency International Deutschland e.V..
Die Ausrichtung der DFB-Akademie würde also immer abhängig vom Votum des DFB-Vorstands sein: „Organisatorisch also eine Fußball-Behörde und kein eigenständiger Campus für neue Ideen und Wege.” Nicht Sportexperten entscheiden, sondern DFB-Funktionäre in einem „Lenkungskreis, die wiederum an das Präsidium und den Vorstand berichten und ihm verpflichtet sind”.
Dabei sind die Ansätze des modernen Managements, die von Sportdirektor Hansi Flick und Projektleiter Oliver Bierhoff entwickelt wurden, durchaus klug und richtig, weil sie von demokratischen Strukturen ausgehen.
Auch der Flick-Satz: „Der Blick über den Tellerrand ist wichtig, wenn man nicht verwalten, sondern gestalten will.” (DFB Journal 3/2015, S. 52). Dazu braucht es kreative Menschen, die außerhalb von Schemata denken und Bereiche vermischen, die normalerweise getrennt sind.
Wie Markus Weise, vormaliger Hockey-Bundestrainer, der neuer Leiter Konzeptentwicklung der DFB-Akademie ist. „Der Mann mit den Puzzleteilchen” nennt ihn der Sportjournalist Jan Christian Müller, weil der Quereinsteiger daraus etwas Ganzes formen soll und “ein Verbundsystem plant, das um die Spieler herum gebaut werden muss”.
Künftig soll intelligenter gearbeitet werden
Erst die geistige Flexibilität von Gestaltern ermöglicht es, auch unter veränderten Bedingungen erfolgreich zu sein. Allerdings: “Fußball ist ein Testosterongeschäft”, zitierte der ZEIT-Sportjournalist Oliver Fritsch vor einigen Jahren Katja Kraus.
Diese Tatsache gehört bei der Neuausrichtung auch berücksichtigt, denn nach Robert Josephs von der Universität von Texas in Austin ist Testosteron schuld an unethischem und betrügerischem Verhalten:
„Eine Überdosis Testosteron erhöht einerseits den Wunsch nach Belohnung, verringert andererseits aber die Angst vor Bestrafung.” (WirtschaftsWoche 52/18.12.2015) Damit nimmt auch der Mut zum Betrügen zu sowie ein mangelndes Unrechtsbewusstsein. Einen effektiven Betrugsschutz bieten eine offene Unternehmenskultur und Kritikfähigkeit.
Das kann beim DFB wohl nur durch einen Klinsmann-Effekt gelingen, der dazu beiträgt, die alten Strukturen aufzulösen. Denn ohne einen grundlegenden (auch geistigen) Kulturwandel im Gesamtsystem hat auch die DFB-Akademie keine Bedeutung.
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Kommentar von Tim Leberecht: „Gesucht werden professionelle Manager mit dem Herzen eines Amateurs”
“Was die Strukturen bei den nationalen und internationalen Fußballverbänden angeht, so würde ich mir zweierlei wünschen: zum einen, dass sie von Pep Guardiola und anderen großen Fußball-Strategen der Gegenwart lernen, und zum anderen, dass sie offen sind für neue Management-Modelle aus dem Silicon Valley und anderen Innovations-“Spielmachern”.
Es mutet ja doch schon seltsam an, dass sich Spielkultur, taktische Finesse und körperliche Fitness auf dem Feld wesentlich weiterentwickelt haben, die Verbände in Sachen Organisation, Management, Kommunikation und Innovation jedoch hinterherzuhinken scheinen.
Die Verbände sollten – wie das die Nationalmannschaften vormachen – wie ein professionelles Unternehmen geführt werden, von Spezialisten und interdisziplinären, integrierten Teams an Managern, Kreativen, Daten-Analysten und Entwicklern.
Unternehmen werden immer mehr zu Software-Unternehmen
Und nicht nur das: Unternehmen werden immer mehr zu Software-Unternehmen, nicht nur in ihrer Wertschöpfung, sondern eben auch in ihrer Organisationsstruktur. Etwas mehr Guardiola würde dem DFB da z.B. gut zu Gesicht stehen.
Weniger kontrollierte Defensive und mehr Mut zum Risiko. Mehr Experimente, mehr Agilität und Flexibilität, dezentrale Strukturen und Selbstmanagement – z.B. durch Konzepte wie Holocracy oder ein Allrounder-Rollenverständnis, das die Idee des “Total Footballs” auf das Management überträgt.
Man könnte zum Beispiel eine radikale Entbürokratiserungsbewegung starten und dementsprechende Anreize setzen. Oder auch, wie das ja bei vielen innovativen Großkonzernen mittlerweile der Fall ist, schlanke Start-Up-Kulturen simulieren durch Spin-Offs oder “Excubators”, die neue Modelle außerhalb des Mutterschiffes mit großer Autonomie entwickeln und testen – oft auch ganz bewusst in Opposition zu bestehenden Strukturen.
Ich denke da an Hackathons, Pop-Up Studios in den Fußball-Hochburgen oder andere Formate. Sicher würde es auch nicht schaden, mehr Millennials oder sogar die nachfolgende Generation Z mit ins Boot zu holen, sei es als Mitarbeiter oder durch informelle Wettbewerbe und andere Community-Aktivitäten.
Es muss für den jungen Designer oder Software-Entwickler interessant sein, beim DFB zu arbeiten, sowohl unter professionellen als auch kulturellen und intellektuellen Gesichtspunkten.
Klar ist: Das Grundvertrauen in den Spitzensport wurde durch die Skandale der jüngsten Zeit sehr erschüttert, und die romantische Qualität des Fußballs hat unter der wachsenden Kommerzialisierung ohnehin stark gelitten.
Nur wenn aus Funktionären echte Führungskräfte werden, wenn es den Verbänden gelingt, die Fußball-Leidenschaft der Fans kreativ für einen tiefgreifenden Kulturwandel zu nutzen, können sie wieder mit der Innovation auf dem Spielfeld Schritt halten.
Gesucht werden professionelle Manager mit dem Herzen eines Amateurs. Um es mit dem leicht abgewandelten Motto des FC Barcelona zu sagen: weil Fußball mehr ist als nur Fußball, müssen Fußballverbände in Zukunft mehr sein als nur Fußballverbände – offene, innovative Plattformen, die wie das schönste aller Spiele auch nie stillstehen.”
Dieser Artikel erschien zunächst in der Huffington Post.