Productivity 4.0: Was wir von Silicon Valley lernen können
Unternehmen aus dem Silicon Valley prägen schon jetzt die Zukunft der Arbeit: warum humanistische Werte deswegen umso wichtiger werden.
von Alexandra Hildebrandt
Unternehmen aus dem Silicon Valley prägen schon jetzt die Zukunft der Arbeit. Der seit elf Jahren in San Francisco lebende deutsche Innovationsexperte Tim Leberecht bietet nicht nur in seinen Büchern und Vorträgen, sondern auch in Workshops Einblicke in die neuesten Technologietrends und Arbeitskonzepte aus dem Valley: von Gig Economy zu Platform Cooperativism, von Quantified Workplace und Artificial Intelligence zu Thick Data, Mindfulness, und Total Motivation.
In interaktiven Szenarien wird hier durchgespielt, welche Modelle für Interessierte relevant sind und wie sie sich am besten darauf vorbereiten – und dennoch inmitten all der disruptiven Technologien eine humane Unternehmenskultur bewahren.
Der weltweit tätige Marketing- und Managementberater ist auch Gründer der Business Romantic Society, einem Netzwerk, das Firmen und Führungskräften bei strategischen Transformationen hilft.
Zuvor war Leberecht CMO von NBBJ, einer internationalen Workplace Design Firma mit Kunden wie Amazon, Bill & Melinda Gates Foundation, Samsung, Starbucks und Tencent. Davor war er in gleicher Position von 2006 bis 2013 bei Frog Design tätig, einem Unternehmen für Produktdesign und Strategieberatung mit Kunden von Disney zu GE zu Microsoft, sowie als CMO für IT-Dienstleister Aricent Group.
Der Business-Romantiker
Leberecht veröffentlicht regelmäßig in Publikationen wie Harvard Business Review, Fast Company, Forbes, Fortune oder Wired und spricht auf Konferenzen wie DLD, TED, Next, The Economist oder re:publica. Sein TED Talk „3 Ways to (Usefully) Lose Control of Your Brand” wurde von fast einer Million Menschen gesehen. Leberecht ist Mitglied des Values Council des Weltwirtschaftsforums. Er lebt und arbeitet seit elf Jahren in San Francisco.
Ein sechsteiliges Interview mit ihm erschien anlässlich seines aktuellen Buches „Business-Romantiker: Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben” (2015) in der Huffington Post unter dem Titel „Fels sein und Wasser”.
Buch und Interview lassen sich in (s)einem Satz zusammenfassen: „Gib alles. Messe nichts. Mehr bedeuten”. Im Mittelpunkt seines Ansatzes steht die Forderung, unternehmerisches Handeln nicht ausschließlich an messbaren Kennzahlen auszurichten.
Das romantische Unternehmen ist für ihn – überspitzt formuliert – „ein Anti-Amazon und schafft immer auch Raum für Intuition, Kreativität und Mehrdeutigkeit.” Es erlaubt Mitarbeitern und Führungskräften Entscheidungen auch „gegen besseres Datenwissen” zu treffen, “nur aus dem Bauch heraus”. Und es erlaubt ihnen auch, Zeit zu verschwenden, denn das ist für Leberecht die Quelle der Innovation.
Was das konkret heißt und für deutsche Unternehmen bedeutet, erklärt er im folgenden Interview.
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Tim Leberecht über eine humanistischere Unternehmenskultur – und wie wir dorthin kommen
Von Silicon Valley lernen
Lieber Tim, was können wir in Deutschland vom Silicon Valley lernen?
Vor allem kulturelle Qualitäten: Optimismus, Hartnäckigkeit, die Kultur des Scheiterns, Unternehmergeist, aber auch eine “Just do it”-Haltung, die leider nicht immer reflektiert ist.
Erleben wir gerade einen “Backlash” gegen eine unbedingte, technokratische Optimisierungskultur?
Davon bin ich überzeugt. Mehr und mehr Unternehmen wollen “großartige Organisationen” bauen, die nachhaltig erfolgreich sind. Dafür ist eine Humanisierung der Arbeitswelt und Firmenkultur unverzichtbar.
Warum verfliegt der Zauber am Arbeitsplatz heute so schnell?
Zu den Gründen gehören Digital Overload, wachsender Effizienzdruck sowie aggressive Automatisierung und Quantifizierung. An die Stelle des „Zaubers” treten Frustration oder sogar Depression.
Weshalb können gerade Workshops dazu beitragen, die Qualitäten des Silicon Valley zu fördern?
Workshops sind eine effektive Methode zur impulsiven und interaktiven Wissensvermittlung und um kurz- und langfristig Veränderungen in Unternehmen zu bewirken. Alle Workshops haben einen starken Erlebnischarakter. Teilnehmer werden zudem mit Themen im persönlichen Kontext konfrontiert.
Was motiviert Dich, Workshops für das C-level Management sowie Führungskräfte aus allen Bereichen, Startup-Unternehmer, HR-Mitarbeiter und Change agents nun auch verstärkt in Deutschland anzubieten?
Ich bin in Deutschland aufgewachsen, lebe aber seit zwölf Jahren in San Francisco. Ich sehe ein großes Potential in Deutschland für eine humanistischere Wirtschaft. Insbesondere vor dem Hintergrund des Industrie 4.0-Hypes ist es wichtig, dass sich Unternehmen wertebasiert und human aufstellen, um langfristig Mitarbeiter und Kunden binden zu können. Meine Seminare sollen dabei helfen. Ich sehe mich als eine mögliche Brücke zwischen deutscher Mentalität und Silcon Vallley.
Die Rolle der Digitalisierung
Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung? Wie verändert sie unser Denken, unsere Lebens- und Arbeitswelt?
Die Digitalisierung ist der Dreh- und Angelpunkt aller Transformationsprozesse in der Wirtschaft. Stichwort Urbanisierung, Automatisierung, Internet of Things oder AI: Die Mensch-Maschine-Schnittstellen sind schon jetzt erfolgskritische Faktoren, es werden in Zukunft noch mehr sein. Angesichts des exponentiellen Wandels, den disruptive Technologien einläuten, ist es allerdings umso wichtiger, dass wir nicht blind folgen, sondern alle Versprechungen kritisch hinterfragen.
Ein Seminar von Dir heißt „Romantik statt Burn-Out”. Was lernen die Teilnehmer hier?
Sie lernen zehn konkrete Designprinzipien kennen, die ihnen dabei helfen, wieder für ihren Job zu brennen und ihr Team emotional zu berühren und zu motivieren. Sie erfahren, wann und wie sie gegen Datenflut und Effizienzdenken aufbegehren können und mit emotionaler Intelligenz, Nähe, Verletzlichkeit und geheimnisvollen Überraschungen eine Unternehmenskultur mit Seele schaffen.
Im Job ohne Burn-out
Was bleibt in “nachhaltiger” Erinnerung von diesen Workshops?
Vor allem die Erkenntnis, dass ohne Burn-out die eigenen Sehnsüchte und Leidenschaften in den Job miteingebracht werden können, dass sich die Mission und die Werte des Unternehmens in erfüllende alltägliche Arbeitserfahrungen übersetzen lassen, dass es möglich ist, Räume zu schaffen für eine Arbeitsplatzkultur mit Sinn und Seele – und warum dies nicht nur dem Einzelnen hilft, sondern auch der Firma.
Inwiefern spielt die Arbeit von Silicon Valley in den Workshops eine Rolle?
Dazu gibt es separate Kurse, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte lernen, wie disruptive Technologien und neuro-wissenschaftliche Erkenntnisse Produktivität und Kollaboration neu definiert werden, welche innovativen Arbeitskonzepte aus dem Silicon Valley zu ihrer Firmenkultur passen (und welche nicht), wie sie noch heute beginnen können, die neuen Konzepte am besten an ihrem Arbeitsplatz zu integrieren.
Aktuelle Informationen:
Seit 2009 ist der Werte-Index ein Kompass für die Bedeutung von Werten der deutschen Web-User. Er zeigt qualitativ und quantitativ relevante Entwicklungen und Trends auf. Ein wichtiges Ergebnis der aktuellen Studie lautet, dass die klassischen „anonymen” Institutionen immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren. An der Spitze stehen die Werte Gesundheit, Freiheit und Erfolg.
Unverzichtbares Element des Werte-Index sind auch Interviews mit Experten und Unternehmern, die sich den Implikationen des Werte-Wandels bereits in der Praxis stellen.
Im Rahmen des Werte-Index 2016, der von der Trendforschungsagentur Trendbüro und des Marktforschungsunternehmens TNS Infratest jetzt veröffentlicht wurde, erschien das Interview mit Tim Leberecht “Eine romantische Definition von Erfolg.”
Dieser Artikel erschien zunaechst in der Huffington Post.