Romantik und Nachhaltigkeit – ein gutes Paar?
Im Interview mit N-Kompass erklärt Tim, warum Innovationen nicht durch reines Effizienzdenken enstehen.
von Marie-Lucie Linde
Der Buchautor und überzeugte Business-Romantiker Tim Leberecht erklärt im Interview, warum das vorherrschende Effizienzbestreben in der Wirtschaft seiner Meinung nach zu eindimensional gedacht ist und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft sowie in Unternehmen emotional erlebbar gemacht werden muss.
Herr Leberecht, Sie wollen als Business-Romantiker das Business-as-usual um Elemente wie Intimität, Geheimnis und Leidenschaft erweitern. Wie passt das Thema Romantik zu dem Thema Nachhaltigkeit, wenn sich letzteres aufgrund von Umweltverschmutzung, Artensterben und Ressourcenschwund eher unromantisch präsentiert?
Romantik steht für Flüchtigkeit und somit eigentlich für das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Es geht Romantikern nicht um nachhaltige Wahrheiten oder Verhaltensweisen, sondern darum, alle Facetten des Lebens zu erfahren und in allem immer mehr Bedeutung zu sehen als sich empirisch beweisen lässt. Für den Romantiker sind Erfahrungen die Währung schlechthin. Die Brücke zur Nachhaltigkeit liegt meiner Meinung nach daher in der emotionalen Erfahrung von Nachhaltigkeit. Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass man nur bis zu seinen Enkeln die Folgen gegenwärtigen Handelns emotional erfassen kann. Dieser Gefühlshorizont ist letztlich der stärkste intrinsische Motivator für nachhaltiges Handeln – mehr als alle rationalen Argumente. Studien zeigen, dass Menschen ihr Verhalten nicht aufgrund von stichhaltigen Argumenten, Daten oder Fakten ändern, sondern weil sie die Konsequenzen ihres Handelns bzw. Alternativen hautnah erleben. Auch in Unternehmen sind alle Kulturwandelprozesse oder Change-Prozesse immer dann nachhaltiger, wenn die Menschen, die beteiligt sind und mitgestalten, nicht nur rational davon überzeugt, sondern auch mit dem Herzen dabei sind. Wenn etwas unter die Haut geht, eine Erfahrung oder eine Einsicht – ob am Arbeitsplatz oder außerhalb – erst dann ist man richtig engagiert. Das bedeutet, dass wir den Sinn von Nachhaltigkeit sinnlich erfahrbar machen müssen.
Sie wollen mit Ihrem Business-Romantik-Ansatz wirtschaftliche Paradigmen ändern und zeigen, dass Effizienz allein im Geschäftsleben nicht genügt. Inwiefern kann Ihr Ansatz einen systemischen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in der Wirtschaft befördern?
Das ist ein interessantes Paradox: auf der einen Seite gebietet Nachhaltigkeit den effizienten Umgang mit natürlichen Ressourcen, aber um innovative Lösungen dafür zu finden, müssen wir buchstäblich menschliche Ressourcen verschwenden und nicht nur in Effizienzmustern denken. Durch die sogenannte Triple-Bottom-Line ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein Bewusstsein für nachhaltiges Wirtschaften entstanden, das schrittweise operationalisiert wurde. Ich sehe allerdings die Gefahr, dass durch den Aufzug der künstlichen Intelligenz und der Automatisierung dies wieder zunehmend in Frage gestellt wird. Das, was wir sorgsam in drei Dimensionen aufgefächert haben, könnte wieder auf eine Dimension – und zwar die des ungebremsten, maschinen-gesteuerten Wachstums – reduziert werden. Darüber hinaus bereitet mir Sorge, dass wir mit dem Aufkommen künstlicher Intelligenz moralisches Handeln zunehmend algorithmisieren und den Menschen – und damit den humanistischen Ethos der Nachhaltigkeit – aus Entscheidungsprozessen herausprogrammieren. Letztlich geht es um die Frage, welchen Dingen wir in unserer Gesellschaft Wert beimessen. Und, etwas radikaler gefasst, ob wir trotz Datafizierung und der Totalvermessung unseres Lebens wieder jenen Dingen Wert beimessen, die sich nicht messen lassen, z.B. das Wohl nachfolgender Generationen und eine spirituelle Verbundenheit mit dem unergründlichen Wunder unseres Planeten.
Viele Unternehmen sagen, dass sie ihr Handeln enkelfähig machen wollen. Könnte dies der Versuch sein, Nachhaltigkeit emotional erlebbar zu machen?
Das bringt mich zum Thema „Zeit“. Neulich in einem TED-Talk wurde gesagt, dass wir eigentlich nicht unbedingt mehr Zeit haben wollen, sondern mehr Erinnerungen. Dies ist sehr romantisch gedacht. Auf der einen Seite wird durch die Medien und die digitalen Technologien alles beschleunigt. Es gibt immer weniger Zeit, zu handeln und auf die Stimuli zu reagieren. Alles ist kurzfristig gedacht und nicht nachhaltig. Aber gerade deswegen gibt es diese Sehnsucht nach Langzeitwirkungen, d.h. nach dem Vermächtnis eines Unternehmens bzw. eines Menschen. Viele Firmen wie etwa Purpose in New York oder A Hundred Years – eine Firma, die jetzt auch in Europa an den Start geht – konzentrieren sich daher auf die Fragen: Was soll unser Vermächtnis an die Welt und an die Gesellschaft sein? Was soll unseren Kindern und Enkelkindern mit auf den Weg gegeben werden? Welche Werte möchte ich mit meinem Unternehmen hinterlassen? Welche Erinnerungen werden bleiben? Das ist für mich Nachhaltigkeit. Diese Langzeitperspektive wird begleitet von Phänomena wie der Slow Food- oder Slow Money-Bewegung, die unsere Erfahrungen bewusst entschleunigen und somit ein anderes, bewussteres Zeitverständnis anregen wollen.
Im Kontext der Nachhaltigkeit verstärkt sich aktuell der Trend zu mehr Transparenz und Messbarkeit. Ist nach Ihrem romantischen Verständnis dieser Trend für einen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit nicht eher kontraproduktiv?
Grundsätzlich wird Transparenz oft überbewertet und als Allheilmittel verschrien. Aber für Unternehmen zu sagen, dass sie zu 100 Prozent transparent sein und alles messen müssen, um eine höhere Legitimität bei Stakeholdern zu erzielen, ist meiner Meinung nach unter zwei Gesichtspunkten problematisch: Zum einen, weil Menschen oft mit diesen Informationen und der Transparenz überfordert sind. Es ist ein Zeichen guter Führung entscheiden zu können, welche Informationen relevant sind und welche man den Mitarbeitern zumutet. Zum anderen stört mich, dass sich in diesem Glauben an radikale Transparenz oft die naive Datengläubigkeit verbirgt, dass man die Welt am besten mit empirischen Messinstrumenten erklären kann und sich damit alle Probleme lösen lassen. Wir sollten uns in Bescheidenheit üben und akzeptieren, dass wir gewisse Schichten unseres Daseins nicht erklären können und auch gar nicht sollten.
Beim Thema Nachhaltigkeit ist Transparenz grundsätzlich gut, da Unternehmen einen Vertrauensvorschuss aufbauen müssen, sodass sie nicht des Greenwashings bezichtigt werden. Allerdings sollte diese Transparenz immer mit Storytelling kombiniert werden. Daten unterstützen und veranschaulichen die Geschichte einer Marke, können sie aber nicht ersetzen. Haltung ist viel wichtiger. Das Paradebeispiel ist hier immer noch die „Don’t Buy This Jacket“-Kampagne von Patagonia. Das Unternehmen schaltete in der Vorweihnachtszeit ganzseitige Anzeigen, in der sie Leser dazu aufforderte, ihre Produkte nicht zu kaufen – um das Bewusstsein für Konsumerismus zu erhöhen und gleichzeitig als Marke mit Standpunkt wahrgenommen zu werden, die Menschen vor allem aufgrund der von ihr verkörperten Werte kaufen.
In Ihrem Buch schildern Sie die Sharing Economy als einen romantischen Versuch, durch ein verändertes Konsumverhalten mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Wo steckt in diesem Ansatz für Sie die Romantik?
Sharing Economy ist ein kontroverses und komplexes Thema, das mit viel Hoffnung und Idealismus gestartet ist. Die Idee war, Exzess-Kapazitäten im Markt umzuverteilen und schließlich dadurch eine neue Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit herzustellen. Die Akzeptanz des Modells hat dann allerdings stark darunter gelitten, dass sich mit Uber und Airbnb schnell eine kommerzielle Oligarchie gebildet hat. Ich denke daher, dass der Sharing Economy-Ansatz weiterentwickelt werden muss, so wie es jetzt einige kollektivistische Organisationen versuchen, z.B. die „Positive Platforms“ Bewegung, die vom Institute For The Future in Palo Alto ins Leben gerufen wurde.
Was mich grundsätzlich trotz aller Kritik an Sharing-Economy-Modellen fasziniert ist ihr romantisches Potenzial: nehmen wir zum Beispiel Airbnb. Was die Plattform so romantisch macht ist die Möglichkeit, mit Fremden in Kontakt zu kommen und buchstäblich in das Leben anderer einzutreten. Das Sozialkapital, was dabei entsteht, darf man nicht unterschätzen. Spannend ist nun zu beobachten, was Firmen wie Airbnb nun mit diesem Sozialkapital machen und welche Werte sie damit prägen. Ich denke die Kombination aus datenbasierter Ef zienz und Optimierung sowie Geheimnis und Intimität ist nicht nur clever, sondern kann auch gesellschaftliche Nähe erzeugen, idealerweise sogar außerhalb unserer vielzitierten „Filter Bubbles“.
Eine Ihrer Regeln lautet „Trenne dich“. Bedeutet dies, dass Sie Unternehmen dazu raten würden, alte und nicht nachhaltige Geschäftsmodelle nicht weiter zu verfolgen und mehr in Geschäftstransformation zu investieren?
Die Fähigkeit, etwas zu beenden, um etwas Neues anzufangen, wird künftig noch wichtiger sein, weil sich Innovationszyklen beschleunigen und Kundenloyalität immer unsicherer wird. Das gilt insbesondere auch für den Arbeitsplatz: die lebenslange Anstellung wird es so nicht mehr geben. Flexiblere, projektbasierte Modelle werden sie ersetzen, man nennt das „Gig Economy“. Loslassen zu können – immer öfter Dinge zu beenden und neue anzufangen – wird zur Kernkompetenz.
Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Stellenwert von Innovationen, um nachhaltige Geschäftsmodelle für Unternehmen entwickeln zu können?
Innovation ist DER Hebel. Zum einen, weil Innovation bedeutet, neue Sachen auszuprobieren, neue Technologien zu implementieren und neue Zielgruppen zu erreichen. Nur so bleiben Unternehmen wettbewerbsfähig. Zum anderen ist die Innenwirkung von Innovationen nicht zu unterschätzen: Menschen sind fasziniert von allem Neuen und wollen bei aller Liebe zu verlässlichen Routinen überrascht und ständig gefordert werden. Darum gründen Unternehmen zunehmend Innovation Labs, um die Intimität, Kreativität, Flexibilität und das mutige Denken von Kleinfirmen und Start-ups zu simulieren und so Innovationen voranzutreiben. Innovieren ist gleichzeitig aber immer auch Zeitverschwendung. Innovationen entstehen nicht durch reines Effizienzdenken, sondern eine Innovationskultur, die entsprechende Freiräume schafft.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sogenannte „Toast“- Dinners zu unterschiedlichen Themen veranstaltet haben. Was wäre Ihr persönlicher Toast auf die Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit bedeutet für mich, Menschen zu berühren und die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass durch unser wirtschaftliches Handeln heute auch in Zukunft noch Erinnerungen für Menschen geschaffen und erhalten werden können. Das bedeutet für mich, nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch unsere zutiefst menschlichen Ressourcen zu managen: unsere Kreativität, unser Empathie-Vermögen und unsere moralische Vorstellungskraft. Ich glaube an die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, unsere moralische Verp ichtung zu nachhaltigem Wirtschaften zur Herzenssache zu machen. Mit anderen Worten: wir müssen ein romantisches Verhältnis zur Nachhaltigkeit haben.
Foto: Omran Sherzay
Dieses Interview erschien in der Mai 2017-Ausgabe des N-Kompass Magazins.