Spürbare Nähe: Das globale Dorf im Zeitalter der Digitalisierung
Sehnsucht nach einer resonanten Welt und nach einem anderen Wirtschaftsleben
von Alexandra Hildebrandt
Als Tim Leberecht, Autor des internationalen Bestsellers „Business Romantiker”, noch bei Frog Design in San Francisco arbeitete, kamen immer wieder deutsche Unternehmen zu Besuch und fragten: „Wie werden wir wie Apple?”
Über den regelmäßigen „Silicon Valley-Tourismus”, der dann einsetzte, ist auch an diesem HuffBlog häufig berichtet worden.
„Was können wir von Airbnb lernen”? Fragt der Marketingexperte in seinem aktuellen Newsletter, denn Airbnb hat seiner Ansicht nach vieles anders und besser gemacht: z.B. den traditionellen Personalchef durch einen „Head of Employee Experience” ersetzt, mit dem Designerhotel-Unternehmer Chip Conley die neugeschaffene Stelle des „Chief Hospitality Officers” besetzt „sowie immer wieder geschickt Impulse aus anderen Disziplinen integriert (beispielsweise Produktkonzepte des Autoren und Philosophen Alain de Botton).”
Es ist für Leberecht aber auch ein Beispiel dafür, dass niemand innovativer wird, wenn er glaubt, dass das Nachahmen von Innovationsmethoden anderer ausreicht.
Echte Innovatoren setzen sich wie Genies selbst die Regeln – „und das oft auf der Grundlage einer starken, wertebasierten Kultur”. Kultur bedeutet für Leberecht Anti-Effizienz, Aus- und Weitschweifen, Flanieren, Spielen und Experimentieren:
„Wer dies als Stärke begreift und nicht als Schwäche, der wird auch in Zukunft innovativ sein.”
In Zukunft werden aber auch immer mehr Maschinen entscheiden und alles erledigen (das sei nach Leberecht auch die momentane „Marschrichtung des Silicon Valley”). Umso dringlicher werden Mut und Leidenschaft sein.
Gewinnen wird, wer „durch Daten fundierte Entscheidungen mit Instinkt und Leidenschaft koppelt” und sein Team von dieser Mission überzeugen kann, sagte Leberecht in einem Interview mit Matthias Hohensee, dem Bürochef Silicon Valley bei der WirtschaftsWoche, der im Juli das Event Business After Future in Berlin moderierte.
Tim Leberecht ist im Oktober Ehrengast der Burgthanner Dialoge, wo er über die neuesten Technologietrends und Arbeitskonzepte aus dem Silicon Valley sprechen wird.
Im Mittelpunkt seines Ansatzes „Gib alles. Messe nichts. Mehr bedeuten.” steht die Forderung, unternehmerisches Handeln nicht ausschließlich an messbaren Kennzahlen auszurichten.
Burgthann in Mittelfranken ist für viele Menschen Heimat und Verankerung im Digitalisierungszeitalter. Heimat ist aber auch ein Konzept, das im Zeitalter der Romantik wirkmächtig wurde und als Heimweh „die moderne Sehnsucht nach einer resonanten Welt auf den Punkt bringt” (Hartmut Rosa).
Fokussierte Gemeinschaft
Die Burgthanner Dialoge, die seit 2010 einmal jährlich stattfinden, sollen Menschen und inspirieren und ermutigen, sich mit der Vielfalt gesellschaftlicher Themen zu beschäftigen.
Diese nicht-kommerzielle Veranstaltungsreihe kann kostenlos besucht werden (Anmeldung erforderlich). Sie leistet einen wichtigen Beitrag für die Kommunalpolitik, denn gerade unter den Bedingungen der Globalisierung und Digitalisierung, die vielfach mit räumlichen Entankerungen verbunden sind, kommt dem Regionalen die Aufgabe einer soziokulturellen Stabilisierung zu.
Sie steht unter der Schirmherrschaft des 1. Bürgermeisters der Gemeinde Burgthann,Heinz Meyer, der zu Deutschlands Gesichtern der Nachhaltigkeit gehört.
Ehrengast Dr. Theo Zwanziger auf den 1. Burgthanner Dialogen 2010 im Gespräch mit Heinz Meyer (daneben Dr. Alexandra Hildebrandt und Elke Leser).
Copyright: Gemeinde Burgthann
Das Thema Digitalisierung und Kulturwandel 4.0 ist hier selbstverständlich. So sind im Rathaus alle so miteinander vernetzt, dass über ein Dokumentenmanagement alle Mitarbeiter Zugriff auf die für sie relevanten Daten haben. Für die Bürger gibt es ein Rathausserviceportal:
Dort können verschiedene Anliegen unproblematisch angemeldet bzw. abgefragt werden. Bis Ende Januar 2017 wird die Großgemeinde Burgthann alle Ortsteile mit schnellem Internet versorgt haben.
Der Breitbandausbau ist fast abgeschlossen. „Das war auch wichtig, weil viele Selbstständige einfach auf schnelles Internet angewiesen sind. Das ist heutzutage auch ein Argument bei der Wohnortsuche. Ansonsten wird es demnächst am Rathaus und an der Burg zwei kostenfreie Hotspots für Internet (BayernWelan) geben”, sagt Elke Leser, die in der Gemeinde Burgthann für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie für das Marketing zuständig ist.
Nicht nur die Belegschaft, sondern auch das Image der Gemeinde sei in den vergangenen Jahren jünger und moderner geworden, bestätigt sie. Das sollte im Rathaus auch visuell transportiert werden: Licht, helle Farben und Glastüren signalisieren Nähe zu den Bürger/innen.
Den Führungsstil des Bürgermeisters bezeichnet sie als sehr vertrauensvoll: „Er gibt die Richtung vor, aber er ist kein Kontrolleur.”
Seit 1994 besteht eine Partnerschaft mit der steirischen Gemeinde St. Ruprecht a. d. Raab. Die andere Partnerschaft mit der französischen Gemeinde Châteauponsac (Limousin) besteht seit 1989:
„Es finden alljährlich wechselseitige Besuche statt. Auch hat sich zwischen der Hauptschule Burgthann und dem ‚Ecole Louis Timbal’ in Châteauponsac eine florierende Schulpartnerschaft mit intensivem Austausch entwickelt”, sagt Elke Leser.
Dieses Beispiel steht stellvertretend für viele kleine regionale Aktivitäten, die in überschaubaren Einheiten funktionieren und gleichzeitig mit dem großen Ganzen nachhaltig vernetzt sind.
Heinz Meyer wurde in den vergangenen Jahren immer wieder gefragt, ob er mit den Dialogen nicht in große Kongresshallen umziehen möchte, weil die Nachfrage so hoch sei. Seine Antwort lautet immer: Nein.
Denn dann wäre das Veranstaltungsformat austauschbar, ja es würde an Unmittelbarkeit, Nähe und Ursprung fehlen. Und es gäbe keinen Fokus mehr.
Denn das war der Anspruch von Beginn an: klein und konzentriert zu bleiben, um Menschen und gesellschaftlich relevanten Themen einen angemessenen Rahmen zu bieten, in dem sie wirksam sein können.
In der Huffington Post ist darüber unter dem Titel „Klein macht Sein. Warum wir uns nur in der Nähe finden” berichtet worden.
Es ist wie mit dem Denken: „Nur wer fokussiert denkt, kann auch Großes bewirken. Überspitzt ausgedrückt: Nur wer klein denkt, kann Großes bewirken. Oder wie es eben so schön heißt: weniger ist mehr.”
Schreibt Hermann Scherer in seinem aktuellen Buch „Fokus!”, in dem der Managementexperte auch zugibt, dass es eine Zeit gab, in der ihm die Macht des Faktischen die Menschlichkeit austrieb:
„Ich fing an, Menschen als Ressourcen für meine Zwecke auszubeuten wie ein Ölfeld unter der Wüste Arabiens. Und ich empfand noch nicht einmal Einsamkeit. Spätestens da war sie weg. Die Menschlichkeit.”
Tim Leberecht, der wie Hermann Scherer und Heinz Meyer zu den Gesichtern der Nachhaltigkeit gehört, zeigt in seinem Vorträgen und Publikationen, wie wir sie wiederfinden können, wenn wir den Wert unserer Intuition und Emotionen erkennen, „Konflikt und Reibung begrüßen und unsere eigene Menschlichkeit zelebrieren”.
Dieser Artikel erschien in der Huffington Post.