Stille Revolution
Wie können wir im Job Erfüllung finden, Großes bewirken und uns wirklich lebendig fühlen? Indem wir zu Business-Romantikern werden, so Tim Leberecht, Marketingleiter bei NBBJ, einem Anbieter innovativer Design- und Architekturlösungen. Das Malerblatt sprach mit ihm über seine Ideen und über sein Buch.
Herr Leberecht, Sie haben ein Buch geschrieben über Romantik im Geschäftsalltag. Könnten Sie den Romantikbegriff wie Sie ihn meinen kurz definieren?
Der Romantikbegriff geht zurück auf die ursprüngliche romantische Bewegung des späten 18. Jahrhunderts. Die deutschen romantischen Dichter Novalis, Schlegel, Fichte, oder Eichendorff, die man eben aus der Schule noch kennt, die ich damals allerdings gar nicht so toll fand. Ich fand sie eher schwülstig. Erst in den letzten Jahren lernte ich alle sehr zu schätzen.
Romantik bedeutet, dass man die Emotionen, die Subjektivität, die Verbundenheit mit der Natur, dass man Momente der Transzendenz zelebriert und wertschätzt. Auf heute übertragen heisst das, dass wir uns nicht nur an einer rein empirischen Vernunft, dem Verstand oder zunehmend auch einer datenbasierte Logik orientieren sollten, sondern dieser „Datenwahrheit“ eine eigene, subjektive Wahrheit entgegenstellen.
Ein Business-Romantiker sucht nach dem unermesslich Schönen im Profanen, und er sucht ständig nach mehr Bedeutung – in allem. Er vertraut seiner Intuition und seinen Gefühlen ebenso wie Daten und rationaler Analyse. Er trifft Entscheidungen stets auch mit dem Herzen, nicht nur mit dem Verstand. Er handelt sogar manchmal irrational, gegen die Gesetze der Logik. Er weiss, dass es da immer noch verborgene Welten gibt, die im Tiefen schlummern, die wir nicht vermessen und kommerzialisieren und vielleicht sogar überhaupt nicht berühren sollten. Er hat Dinge, die ihm heilig sind. Er verliebt sich Hals über Kopf in neue Ideen und Initiativen, und ist mit dem ganzen Herzen bei der Sache, auch wenn das machmal wehtut.
Wie beginnt man denn in einem nüchtern, in einem zahlen- und tabellengeführten Unternehmen mehr Romantik in den Alltag zu bringen?
Es ist zunächst einmal wichtig ist, dass man eine romantische Sensibilität erwirbt, dass man das Geschäftsleben mit anderen, frischen Augen betrachet und andere Bezugspunkte schafft.
Konkret kann dies zum Beispiel bedeuten, dass Sie das Wort „romantisieren“ nicht mehr rein negativ verwenden und dass Sie in Meetings offen über Ihre Gefühle sprechen. Oder dass Sie morgen einfach einmal ganz bewusst als andere Person am Arbeitsplatz auftauchen. Tauschen Sie den Arbeitsplatz, vielleicht sogar die Rolle. Die Bank Credit Suisse hat zum Beisspiel einen Grossteil ihres Büros in Zürich einen Co-Working Space umgewandelt, was bei der Belegschaft sehr gut ankam. Oder laden Sie einen Kollegen zum Mittagessen ein, den Sie noch nie getroffen haben. Unterbrechen Sie Ihre Arbeit für 15 Minuten für einen guten Zweck – Studien belegen, dass Sie sich produktiver und zufriedener fühlen.
Wichtig ist allerdings, dass man Business-Romantik nicht gleich zur Chefsache erklärt oder firmenweit formalisiert – das wäre nämlich kontraproduktiv und würde die Romantik im Ansatz zerstören. Ich glaube auch nicht an Überzeugungsarbeit. Als Romantiker werden Sie es schwer haben gegen den Zynismus mit reiner Rhetorik anzukommen. Lassen Sie Taten sprechen! Manipulieren Sie den Arbeitsalltag an kleinen, unscheinbaren Nahtstellen der Realität.
Sie sagen, dass es am Einzelnen liegt. Also, wenn ein Handwerker im Sommer nicht auf der Baustelle vespert und Zeitung liest oder am Smartphone herummacht, sondern raus geht ins Freie und das Wetter genießt, dann wäre das schon ein Ansatz?
Der Handwerker hat den Vorteil, dass er Dinge tut und herstellt, die man anfassen kann. Er hat einen unmittelbaren Bezug zum Produkt. Das ist ja das Schöne und auch romantische an handwerklichen Berufen. Man sieht jeden Tag genau, was man macht. Das fehlt vielen Wissens-Arbeitern.
Sie würden am liebsten wirtschaftliche Muster „auf den Kopf stellen“. Und Sie nennen das einen „Fanfarenstoß für alle, denen Leistung und Effizienz nicht mehr genügen“. Kann damit ein Einzelner in einem starren Betrieb etwas bewegen?
Ja, ich denke schon. Klar, das Gedankengut in meinem Buch ist relativ radikal. Aber es funktioniert, wenn man sich traut, von der üblichen Geschäftslogik abzuweichen und immer nur rationale Entscheidungen zu treffen. Natürlich werden Entscheidungen aus dem Bauch erst einmal skeptisch beäugt. Aber je mehr Menschen das machen, desto mehr wird eine Veränderung und wird ein kultureller Wandel in einem Unternehmen stattfinden. Insofern ist das schon der beschriebene Fanfarenstoß. Das Grundprinzip, um den Arbeitsalltag wieder romantischer zu machen ist, das Vertraute, die Routine aufzubrechen und zu etwas Fremdartigem zu machen. So, dass nie Langeweile oder Zynismus eintritt. Das sind die Hauptfeinde der Romantik.
Kann man damit auch andere anstecken und begeistern?
Ja klar! Ich habe eine Business-Romantiker-Gesellschaft gegründet. Ich halte Vorträge und Workshops bei Firmen wie Airbus oder IBM. Ich will verschiedene Veranstaltungen und eine jährliche Konferenz machen. Wir müssen uns den Platz zurückerobern, den uns die Geschäfts- und die Zahlenlogik beraubt haben. Es ist eine stille Revolution, die aber weitreichende Veränderungen nach sich ziehen kann.
Sie zitieren im Buch Max Weber. Er hat bereits vor über 100 Jahren von der Entzauberung der Welt gesprochen.
Weber tat dies angesichts der Industrialisierung und des Taylorismus. Auch heute brauchen wir angesichts der „Grossen Quantifizierung“ wieder eine Verzauberung! Wir brauchen die emotionale Welt, die irrationale Welt, die mysteriöse Welt– und ich glaube, dass wir sie uns wieder zurückholen können.
Oft hat man in Deutschland das Gefühl, dass nur noch via Excel-Tabelle die Unternehmen geführt werden, total leblos, ohne die Stärken oder Schwächen der Mitarbeiter mit einzubeziehen. Managt man in einer Nation der Kreativen & Erfinder über Soll-Ist-Vergleiche?
Ja, das ist sehr bedenklich, dass oft in der Wirtschaft die Maxime herrscht, dass man nur das managen kann, was sofort messbar ist. Das ist zwar legitim, doch nicht wirklich intelligent. Wir müssen wieder lernen, das zu schätzen, was wir nicht messen koennen, beispielsweise Gefühle, psychologische und spirituelle Bereiche des Lebens.
Unter den Führungskräften im Handwerk gibt es durchaus Freigeister, die sich jenseits von Excel-Tabellen und Powerpoint-Präsentationen bewegen. Was können diese Menschen einem Unternehmen bringen?
Lassen Sie mich „andersherum“ antworten: die „totale Vermessung und Quantifizierung“ bringt verborgene Kosten mit sich. So fühlt es sich in solchen Betrieben weniger menschlich an, subjektiv wird oft Kälte empfunden. Dadurch besteht die Gefahr für das Unternehmen, Mitarbeiter zu verlieren. Oft gehen ja exakt diejenigen, die man sehr gerne behalten hätte, weil sie kreativ sind und Ideen einbringen. Von solchen Menschen kommen die Impulse einer emotionsgestützten Kultur. Dadurch wird durchaus auch die Innovation gestärkt.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass uns das Drama fehlt, dass Unternehmen auch unberechenbarer sein sollten. Haben Sie zu diesen Thesen ein paar erläuternde Sätze?
Über welche Ereignisse sprechen wir im Leben gerne? Das sind im positiven Sinn Ereignisse wie die Begegnung mit dem Fremdartigen, mit dem Unerwarteten, dem Unberechenbaren. Deswegen gehen wir auf Reisen. Wenn wir alles berechenbar machen und wenn wir genau wissen, was am nächsten Morgen auf uns zukommt, wenn wir für jede Minute unseres Tages genau wissen, was passiert, dann verbannen wir die Romantik und die Spannung aus unserem Leben. Wir brauchen manchmal auch Deadlines und intensive Momente, die uns dann auch völlig fordern und erschöpfen. Aber dadurch fühlen wir uns dann auch lebendig. Und ich glaube, dass man sich diese Momente schaffen muss. Wir brauchen alle ein bisschen Drama!
Herr Leberecht, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Ulrich Schweizer. Es erschien in der Juli 2015-Ausgabe des Malerblattes.