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Ein Interview mit Tim Leberecht
Im Beruf zeigen wir zu wenig Gefühl, sagt Manager und Buchautor Tim Leberecht. Sein Rezept für eine bessere Firmenkultur: Fehler eingestehen und auch mal weinen. Und mit den Kollegen Tango tanzen.
KarriereSPIEGEL: Herr Leberecht, Sie sind im Büro – schon ne Kerze angezündet?
Leberecht: Nein, aber ich habe statt Neonlicht ein kleines Lämpchen an, ein bisschen romantische Stimmung kommt da schon auf.
KarriereSPIEGEL: Nun haben Sie ein ganzes Buch über “Business Romantiker” geschrieben. Wonach haben Sie sich denn so gesehnt?
Leberecht: Es gibt auch im Arbeitsalltag Schönheit und spirituelle Erfahrungen – das bleibt aber oft verborgen. Besonders deutlich wurde mir dieser Mangel, als die Produktdesignfirma, in der ich vor ein paar Jahren als Marketingchef arbeitete, von Private-Equity-Investoren übernommen wurde. Da prallten zwei Welten aufeinander: Die Investoren redeten nur über Zahlen, Kultur war für sie ein weicher Faktor, unwichtig. Ich traute mich damals nicht zu protestieren. Aber ich halte Gefühle und Fantasie für elementar im Business. Ich möchte die Wirtschaft romantischer und damit menschlicher machen.
KarriereSPIEGEL: Wie sollte ein romantischer Management-Stil denn aussehen?
Leberecht: Die Zukunft gehört jenen, die beides sind: analytisch und kreativ. Es steht einem Unternehmen gut zu Gesicht, Dinge auch einmal nicht zu erklären, nur der Schönheit wegen zu tun, ohne sofort einen Nutzen daraus ziehen zu wollen.
KarriereSPIEGEL: Viele Chefs würden einem ganz schön was husten, wenn man sagt: Heute habe ich Dinge nur der Schönheit wegen gemacht.
Leberecht: Es geht nicht darum, jeden Tag mit einer neuen Idee anzukommen. Es geht um das Gefühl, als sei man eine Band – so wie früher, als ich noch aktiv Musik machte: Alle sind aufeinander eingespielt, proben intensiv, treten öffentlich auf – aber ab und zu findet man eben kein Publikum, was kein Problem ist. Romantische Manager sind Dirigenten, aber immer auch Straßenmusiker.
KarriereSPIEGEL: Das funktioniert doch nur in bestimmten Branchen.
Leberecht: Nein, jedes Unternehmen muss innovativ sein, egal ob im Gesundheitswesen oder in Banken. Um neue Welten zu entdecken, braucht es Menschen, die wie Narren unbequeme Wahrheiten aussprechen.
KarriereSPIEGEL: Bei Romantik denkt man aber nicht an Ökonomie, eher an die rein gefühlsmäßige Erfassung der Welt, an Künstler des 19. Jahrhunderts.
Leberecht: Genau. Die Romantiker waren eine Gegenbewegung zur Aufklärung, der Ära der empirischen Vernunft. Heute ist das Pendel wieder zu weit ausgeschlagen, die neuen Datentools verstärken das: Wir glauben, wir könnten alles analysieren, quantifizieren und maximieren. Sogar unser Glücksgefühl! Es gibt mittlerweile algorithmische CEOs und Personalabteilungen, in denen nicht Menschen, sondern Maschinen entscheiden – rein datenbasiert.
KarriereSPIEGEL: Soll ich dann in Powerpoint-Konferenzen Mörike zitieren oder wie? “Hassen und lieben zugleich muss ich. Wie das? / Wenn ich’s wüsste! / Aber ich fühl’s, und das Herz möchte zerreißen in mir”?
Leberecht : Ich sträube mich dagegen, Romantik zu instrumentalisieren, um bessere Meetings zu haben. Das führt den Ansatz ad absurdum.
KarriereSPIEGEL: Wie lassen sich Routinen dann durchbrechen?
Leberecht: Es kann jedenfalls keine Top-down-Initiative sein, wo der CEO sagt: “Wir launchen jetzt ein businessromantisches Framework.” Die ursprüngliche romantische Bewegung kam aus dem Verborgenen, von unten. In einigen US-Firmen gibt es jetzt Gruppen, die wie Geheimbünde oder Rebellen agieren und damit den Status quo herausfordern. Einige haben eine Art Schattenfirma aufgezogen und so von innen eine Gegenrealität geschaffen. Aber man kann auch einfach Mystery Meetings organisieren.
KarriereSPIEGEL: Mystery – was?
Leberecht: Das sind Treffen, zu denen man ohne ersichtlichen Grund einlädt. Keiner weiß, wer kommt, worum es geht. Das macht den Arbeitsalltag spannender. Es geht darum, mechanistische Vorgänge in einem Betrieb anders zu sehen. Hier in den USA gibt es auch sogenannte “Daybreaker”-Events: Die laden Erwerbstätige dazu ein, ihren Arbeitstag morgens um sechs mit wildem, rauschhaftem Tanz zu beginnen. Es geht darum, das Vertraute jeden Tag wieder fremdartig zu machen. Dafür muss man kein Kreativchef sein.
KarriereSPIEGEL: Mit Fabrikarbeitern Gedichte schreiben – klingt nach dem “Bitterfelder Weg”, den die Schriftstellerin Brigitte Reimann in der DDR prägte. Hat nicht so prima geklappt.
Leberecht: Sicherlich aus anderen Gründen. Aber wir müssen überdenken, wie ein Unternehmen funktioniert. Hier in den USA schicken einige Firmen ihre Mitarbeiter für einen Perspektivwechsel drei, vier Wochen lang auf Arbeitsreise. Und bei der Shoppingplattform Etsy unterrichten sich Mitarbeiter gegenseitig – im Tangotanzen. Es stärkt die Gemeinschaft und spricht Jüngere an, bei denen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen.
KarriereSPIEGEL: Diese Tendenz sieht man an Bürokulturen mit Wohnzimmeratmo. Das nützt der Firma, weil alle denken: Gemütlich, ich bleibe länger. Ist das nicht das Gegenteil dessen, was Sie proklamieren?
Leberecht: Ja, ich würde davor warnen, Bequemlichkeit überzubewerten. Alle Wünsche zu erfüllen, ist das Gegenteil von Romantik – dafür braucht es Unberechenbarkeit.
KarriereSPIEGEL: Sie haben sogar per Stellenanzeige nach einem Business-Romantiker gesucht. Wie viele haben sich gemeldet?
Leberecht: Ungefähr hundert. Es gab sehr schöne Zuschriften, auch melancholische. Es sei ihr Traumjob, schrieben manche.
KarriereSPIEGEL: Würden Sie so jemanden einstellen?
Leberecht: Ich habe immer solche Leute eingestellt. Ich will wissen: Können sie träumen, interessieren sie sich für Kunst, welche Helden haben sie, welches Lieblingsbuch, wie sensibel sind sie? Ich verbringe mit ihnen schließlich den Großteil meines Tages.
KarriereSPIEGEL: Sie sitzen auch im Werterat des Weltwirtschaftsforums. Geht’s da auch um romantische Ideale?
Leberecht: Wir sprechen etwa über die Frage, wie man eine Kultur der Verletzbarkeit schaffen kann: Damit Manager Fehler eingestehen. Auch mal weinen können und sagen: “Ich weiß die Antwort nicht.” Ich bin überzeugt, das wird am Ende honoriert.
KarriereSPIEGEL: Das darf doch nur Uli Hoeneß. Der Rest braucht Ellenbogen.
Leberecht: Hier im Silicon Valley ist Scheitern Teil des Prinzips. Und wenn sich ein anderer verwundbar zeigt, kannst du auch selbst mehr von dir preisgeben. Das ist die Grundvoraussetzung für Kreativität, Am Arbeitsplatz sollten wir unsere Identität nicht auf ein superperformantes, ausgeglichenes Ich beschränken.
KarriereSPIEGEL: Einer Ihrer Vorschläge im Buch: Musik über die Bürolautsprecher schallen lassen. Mit was stimmen Sie sich heute ein?
Leberecht: Ich finde Radio wahnsinnig romantisch, gutes altes College-Radio. Da sucht noch der DJ die Songs aus – und kein Algorithmus.
Dieses Interview erschien ursprünglich in SPIEGEL ONLINE.