Keine Diktatur der Daten
In seiner Valley Talk-Kolumne bespricht Matthias Hohensee Tim Leberechts "Business-Romantik"
Maschinen entscheiden immer mehr. Umso wichtiger werden Leidenschaft und Mut.
von Matthias Hohensee, Korrespondent im Silicon Valley
Alles regeln, steuern, erfassen, messen – im Internet der Zukunft gibt die künstliche Intelligenz die Richtung vor, und Maschinen erledigen fast alles. Das ist momentan die Marschrichtung des Silicon Valley. Der hiesige Zukunftsforscher Paul Saffo erwartet sogar, dass es in ein paar Jahren erste Unternehmen geben wird, deren Belegschaft fast nur aus Maschinen besteht. Wo sich alles vorhersagen lässt, gibt es scheinbar keine Überraschungen mehr. Auch wenn Künstliche-Intelligenz-Forscher mithilfe spezieller Rechenvorschriften (Stichwort Fuzzylogic) Unschärfen in präzise Dinge modellieren, eins lässt sich – zumindest derzeit – noch nicht in Algorithmen pressen: Leidenschaft. Gekoppelt mit der Bereitschaft, auch einmal Dinge zu tun, die nach historischer Erfahrung eigentlich schiefgehen müssten.
„Kreativität kommt aus der Passion für Dinge, von denen Sie persönlich überzeugt sind, ja, für die Sie förmlich brennen“, sagt Tim Leberecht. Der ehemalige enge Mitarbeiter von Designlegende Hartmut Esslinger hat sich genau darauf spezialisiert, berät von seiner Heimatbasis San Francisco Unternehmen und Organisationen, wie sie diese Leidenschaft entfesseln oder wiederentdecken. Basis dafür ist sein Bestseller „Business-Romantiker“ – ein Plädoyer gegen die kalte Herrschaft der Daten. Leberecht hat Leute wie Apple-Gründer Steve Jobs im Kopf, der ein Meister des leidenschaftlichen Strebens nach Perfektion war, des Anfeuerns von Emotionen, nicht nur bei seinen Mitarbeitern. Hardware galt Ende der Neunzigerjahre als Auslaufmodell, Jobs akzeptierte das nicht. Multi-Gründer Elon Musk ist ähnlich gestrickt. Eine maschinelle Datenanalyse hätte mit Sicherheit ergeben, lieber die Finger von Abenteuern wie reinen Elektroautos oder wiederverwendbaren Raketen zu lassen. Machbar, aber viel zu riskant.
Dieser Artikel erschien in der WirtschaftsWoche im Mai 2016.