Virtual Reality, Silicon Valley und wir
Was wir von Silicon Valley lernen können (und was nicht) und warum Virtual Reality unser Konzept von Arbeit radikal verändern wird.
Interview mit Tim Leberecht, Gründer und CEO von Leberecht & Partners & Autor des Bestellers „Business-Romantiker“
Tim Leberecht arbeitet und lebt für ein neues Wirtschaftsleben. Im Interview mit Clutch anlässlich seines Auftritts beim Deutschen Innovationsgipfel sagt er: „Ich glaube auch im Job an Emotionalität, Geheimnis, Rätsel und all das nicht Messbare, was das Leben so spannend macht. Und das sind die traditionellen Motive der romantischen Bewegung aus dem 18. und 19. Jahrhundert.“ Deshalb gab er seinem Buch auch den Titel „Business Romantiker“. Wir sprachen mit Tim Leberecht über die Zukunft der Arbeit, was uns Menschen mit Robotertechnik und Automatisierung bleibt und wie Virtual Reality unser Arbeitsleben verändern wird. Und last but noch least, verrät er uns den Unterschied von digitaler Transformation in Deutschland und den USA.
Herr Leberecht, Sie haben sich in Ihrem Buch dem Konzept des „Business-Romantikers“ verschrieben. Wie passen Romantik und Wirtschaft in der heutigen Zeit zusammen?
Wir wissen ja von diversen Studien, dass intrinsische Motivation eine positive Korrelation zur Mitarbeiterperformance hat. Jedoch sind nur bis zu 30 Prozent aller Erwerbstätigen voll engagiert bei der Arbeit. Zudem ist unsere Zeit trotz fortgeschrittener Kommunikationstechnologie von Einsamkeit und sozialer Isolation geprägt. Arbeit bleibt der große Sinnstifter und ein erheblicher Teil unserer Identität. Arbeit integriert uns in die Gesellschaft. Wir verbringen mehr als 70 Prozent unserer wachen Stunden mit Arbeit. Aus all diesen Gründen können wir es uns sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich nicht erlauben, weite Teile unseres Menschseins aus dem Arbeitsleben auszublenden.
Die emotionalen und spirituellen Aspekte unseres Menschseins haben wir vom Arbeitsplatz jedoch einfach entfernt. Dabei werden genau diese in Zukunft entscheidend sein. Denn all das, was automatisiert und effizient gemacht werden kann, wird bald von Robotern, Maschinen und Software übernommen. In den nächsten zwei Jahrzehnten soll das bis zu 60 Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland betreffen. Nur was nicht automatisiert werden kann, bleibt uns noch als menschliche Arbeit. Also Tätigkeiten, die subjektiv sind, die von Empathie, Leidenschaft und Vorstellungskraft leben. So abenteuerlich das klingen mag, die Zeiten der rationalen Strategie sind gezählt; die Zukunft gehört jenen, die es schaffen, Bauchgefühl mit kutureller Sensibilität und kompromissloser Kreativität zu vereinbaren. Eine jüngste Studie der Personalberatungsfirma Korn Ferry kommt zu dem Ergebnis, dass der menschliche Faktor – menschliche Arbeitskraft und Intelligenz – in zehn Jahren 2,33 mal so viel wert sein wird wie alle anderen Faktoren zusammen.
Wie kann man die „Spezies“ der „Business-Romantiker“ fördern oder selbst dazugehören?
Einfach anfangen! Wie mit jedem Verhaltenswandel ist es immer am besten, mit kleinen Schritten zu beginnen und jeden Tag ein bisschen mehr romantische „Muskulatur“ aufzubauen. Das kann damit beginnen, Meetings anders abzuhalten oder den Arbeitsplatz andes zu gestalten. Zum Beispiel Rollen zu tauschen oder zufällige Begegnungen zu fördern. Es gibt bereits diverse Plattformen und Communities, wie z.B. die League of Intrapreneurs, die u.a. von Accenture oder Virgin unterstützt wird, oder Rebels at Work, die bewusst die Andersdenkenden, die Dissidenten, die Abenteurer in Organisationen fördern. Ich selber habe die Business Romantic Society ins Leben gerufen, mit der ich seit circa einem Jahr diverse Formate anbiete, um für Teams oder einzelne Manager Erlebnise zu schaffen, die nicht nur inspirieren, sondern auch bestehende Blockaden im Unternehmen auflösen beziehungsweise Veränderungsprozesse katalysieren.
Ich denke, dass wir uns immer mehr hin zu dem Konzept der „Experience-based Work“ bewegen werden, einer Arbeitsweise, die wie ein Akkordeon funktioniert und zwischen intensiven, nomadischen Arbeitsperioden und Phasen der Entspannung mutiert. Das Formelle wird immer weniger wichtig werden und Emotionalität, eine kollektive Intuition – ein bestimmtes Grund- und Zugehörigkeitsgefühl – werden immer wichtiger werden. Der Erfolg von Co-Working Spaces weltweit ist ein erster Indikator dafür.
Sie sagen, dass Virtual Reality (VR) in großem Maße prägen wird, wie wir zukünftig arbeiten werden. Wir werden virtuelle Meetings oder Kundengespräche abhalten und dann über VR ein Produkt präsentieren. Wird es dann noch einen festen „Arbeitsplatz“ geben, so wie wir ihn kennen? Inwiefer wird diese Form der Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändern?
Den festen Arbeitsplatz gibt es ja schon heute so nicht mehr, zumindest in innovativen Unternehmen. VR wird unser Konzept von Arbeit noch radikaler verändern, weil es die Grenzen des institutionellen Arbeitens – zwischen Privat- und Arbeitsleben, Kunden und Produzenten, Kollegen und Konkurrenten – noch weiter auflösen wird. Mark Zuckerberg von Facebook prognostiziert ja bereits, dass in absehbarer Zeit die Hälfte aller unserer sozialen Interaktionen über VR-Plattformen erfolgen wird.
VR-Technologie bietet uns die Möglichkeit, die Welt mit den Augen anderer zu sehen und uns in das Leben anderer einzufühlen. Nicht von ungefähr spricht man von VR als „Empathiemaschine“. So bietet zum Beispiel das Weltwirtschaftsforum Davos-Teilnehmern jedes Jahr die Möglichkeit, sich virtuell in die Situation von Flüchtlingen hineinzuversetzen. Zumindest sensibilisiert das für deren Erfahrungen. Oder nehmen Sie die VR-App „Tree“ aus Los Angeles, mit der sich Nutzer wie ein Baum fühlen können, mit Ästen und Zweigen, um das Thema Nachhaltigkeit „hautnah“ zu erfahren.
Denkbar sind auch Applikationen im Bereich Personalwesen, Führungskräfte-Training und Weiterbildung. Zum Beispiel können VR-Anwendungen wichtige Meetings, Gespräche oder Prozesse simulieren und somit insbesondere die emotionale Intelligenz einer Organisation stärken. Es gibt auch bereits VR-basierte Praktika, bei der Praktikanten nur noch virtuell im Einsatz sind, oder auch VR-Anwendungen, die es Knowledge Workern erlauben, sich mit Kollegen aus anderen Firmen zu treffen oder auch einmal virtuell einen Vormittag komplett in einem anderen Unternehmen zu verbringen.
All dies wirft natürlich viele rechtliche und psychologische Fragen auf – aber ohne Zweifel ist VR mit seiner Gabe, andere Welten zu visualisieren und das Vertraute wieder fremd zu machen und umgekehrt, vielleicht tatsächlich DIE romantische Technologie einer neuen romantischen Epoche.
Sie leben seit vielen Jahren in San Francisco. Wie unterscheidet sich die Arbeitswelten in den USA und Deutschland?
Ein großer Unterschied ist das Thema Transformation. Hierzulande ist das ja ein Dauerbrenner und das Thema schlechthin für Unternehmen jeglicher Grösse, insbesondere die sogenannte „Digitale Transformation.“ Deutsche Firmen verstehen das meist als einen abgeschlossenen, gründlich geplanten Prozess, der das Unternehmen dann von Punkt A nach Punkt B bringt. In den USA, insbesondere im Silicon Valley, ist Transformation eher ein Modus Operandi, eine Haltung, eine fortwährende Art des Wirtschaftens. Schnelle Adaption an wechselnde Martktbedingungen und neue Technologien ist hier selbstverständlich. Transformation ist permanent und nie abgeschlossenen: „Nothing is ever final,“ wie es so schön heisst.
Beide Seiten können voneinander lernen, keine Frage. Die Riesenchance für die deutsche Wirtschaft ist, sich die guten Dinge aus dem Valley abzuschauen – insbesondere die Fähigkeit, mutige Visionen zu formulieren und eine beeindruckende Agilität. Hinsichtlich der jüngsten politischen Entwicklungen in den USA hat Europa aber auch allen Grund sich seiner eigenen Stärken zu besinnen. Ich würde mir eine mutige, weiterreichende europäische Vision wünschen, die das Thema digitale Transformation nicht als schrittweise Anpassung versteht, sondern als einen emotionalen und intellektuellen Quantensprung, der die Themenfelder Zukunft der Unternehmen, Zukunft der Arbeit und Zukunft der Gesellschaft radikal neu denkt – mit dem Menschen im Mittelpunkt.
Dieses Interview erschien im Clutch Magazin.
Photo: Alina Koschnike