Vorrang der Gefühle
Interview mit Tim Leberecht
Für Tim Leberecht macht die Romantik nicht vor der Wirtschaft halt. Der Buchautor plädiert dafür, sie durch kleine Konventionsänderungen wieder mehr in die Unternehmen zu bringen. Dabei ist aber mehr der Einzelne gefragt und keine Implementierung von oben.
Herr Leberecht, ist der Begriff des Business-Romantikers für Sie das, was aktuell vor allem unter dem Thema Sinnsuche im Job läuft oder etwas völlig Neues?
Ich wollte tatsächlich eigentlich ein Buch schreiben zum Thema Sinn und Sinnstiftung, denn meiner Ansicht nach müssen Unternehmen Sinnfabriken sein und nicht nur Geldfabriken. Also habe ich mich in das Thema vertieft und festgestellt, dass die ganzen Prinzipien der Sinnstiftung eigentlich romantische Prinzipien in der Tradition der romantischen Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts sind. Es geht nicht unbedingt darum, das, was man tut, zu lieben, sondern darum, romantische Erfahrungen zu machen, den Gefühlen Vorrang zu geben gegenüber der Vernunft und nicht davon auszugehen, dass man alles begreifen und quantifizieren kann, sondern dass es eine Wahrheit gibt, die nicht objektiv oder empirisch belegbar ist. Dazu zählt auch die Erfahrung, dass man sich Hals über Kopf in eine Idee oder ein Projekt verliebt, dann aber auch leidet. Das unterscheidet die Romantik von Happiness oder Purpose – beides große Trendbegriffe zurzeit. Und Romantik hat eine dunkle Seite. Die sich darin äußert dass man sich einbringt, verletzlich ist, leidet. Das sind Erfahrungen die das Menschsein ausmachen. Und Romantik ist ein großer Teil unseres Menschseins.
Wie geht das zusammen mit der Wirtschaft? Der landläufigen Meinung nach gehört die Romantik doch nur ins Privatleben und in gar keinem Fall in die Businesswelt.
Gerade deswegen finde ich es auch so reizvoll. Wir verbringen bis zu 70 Prozent unserer wachen Zeit auf der Arbeit. Wenn wir dann am Ende unserer Erwerbstätigkeit zurückblicken, wollen wir wirklich einen Bereich, der so wichtig geworden ist als Identitätsstifter und einen großen Teil der Geschichte unseres Lebens ausmacht, von der Romantik ausschließen? Wir können und sollten sie nicht vom Business trennen. Aber das muss durch die Hintertür passieren, durch kleine Störmanöver und Konventionsveränderungen.
Wie kann man solche Akzente setzen?
Indem man ganz bewusst gegen die Businesslogik handelt, wenn man an etwas glaubt, obwohl man weiß, dass es keinen unmittelbaren Return on Investment produzieren würde. Ein Beispiel: Als ich damals bei Frog Design, einer Strategie- und Designfirma, gearbeitet hab, haben wir einmal im Jahr eine Party veranstaltet, am Vorabend einer großen Technologiekonferenz. Aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten hat die sich nicht rentiert, die Leute haben sogar am Wochenende gearbeitet, es war insgesamt ein Riesenaufwand. Jedes Jahr haben wir überlegt, ob wir das wirklich machen wollen und jedes Jahr haben wir gesagt „ja wir machen’s“. Aus sentimentalen Gründen, die nicht weniger wertvoll sind. Letztendlich hat die Party große romantische Dividenden ausgezahlt. Es war ganz einfach ein Teil unserer Kultur.
Ein anderer Punkt ist, ganz bewusst Raum zu schaffen für Geheimnisse. Man glaubt ja heute, dass Transparenz das Zauberwort ist. Je transparenter ein Unternehmen, umso besser. Denn dann gibt es mehr Vertrauen.
Und das stimmt nicht?
Das stimmt natürlich zu einem gewissen Teil, aber wenn wir wirklich im gläsernen Unternehmen arbeiten, sitzen wir auch im gläsernen Käfig. Dann gibt es keine Geheimnisse mehr, dann sind ständig alle Kanäle offen, dann gibt es nichts mehr, was man entdecken könnte, was unberechenbar ist. Und das ist letztlich ein Fantasiekiller.
Wie kann man als Unternehmen da die Balance wahren?
Es gibt eine ganz interessante Gegenbewegung, die man schon im Marketing sieht. Apple hat diese Aura des Geheimnisvollen immer schon inszeniert. Dann gibt es intern in Unternehmen Kollektive wie „Rebels United“ oder „The League of Intrapreneurs“. Das sind Foren für Andersdenkende in Unternehmen, die ganz bewusst nicht als Innovationsunit oder ähnliches formalisiert sind, sondern sich eher wie eine Art Geheimbund im Untergrund des Unternehmens treffen. Daran merkt man, Leute wollen wieder diesen Hauch von Geheimnis erfahren, als Verbraucher aber auch am Arbeitsplatz.
Und wie kommen solche Ideen in die Unternehmen?
Der Einzelne selbst braucht Mut, oder es braucht einen Chef oder Manager, der den Mut und die Autonomie hat, so etwas anzustoßen. Wobei ich nicht glaube, dass die Business-Romantik, wie ich sie beschreibe, unbedingt auf formale Art gelauncht werden kann. Das würde dann auch wieder die Romantik zerstören. Das muss eher wie kleine Flammen in verschiedenen Bereichen des Unternehmens immer wieder auflodern.
Also kann auch die HR-Abteilung nicht viel machen, wenn es eher auf den Einzelnen ankommt?
Als Einzelner kann man für sich jeden Tag anders gestalten. Das romantische Grundprinzip ist ja, das Vertraute wieder fremd zu machen. Das ist das, was uns begeistert, was die Intensität ausmacht. Diese Momente kann man selber schaffen, indem man Sachen macht, für die man eigentlich nicht qualifiziert ist, indem man sich einmal bewusst woanders hinsetzt oder für einen Tag die Rollen tauscht mit einem Kollegen, oder sogar dem Chef. Das sind kleine Verrücktheiten, die man als HR-Abteilung bewusst belohnen, für die man Anreize schaffen oder die man zumindest tolerieren kann. Aber ich glaube schon, es ist besser, wenn die erstmal im Geheimen blühen, bevor man sie zu sehr skaliert und formalisiert. Insgesamt geht es darum, die emotionale Landkarte von Unternehmen zu erweitern und somit ein humaneres Arbeiten zu ermöglichen. Das stärkt die intrinsische Motivation und langfristige Mitarbeiterbindung.
Welche Reaktionen haben Sie bisher auf Ihre Idee der Renaissance der Romantik bekommen?
Es gibt zwei Reaktionen. Die eine ist von jenen Leuten aus der Wirtschaft, die eine sehr instrumentalistische Sichtweise haben und die sofort aus dem Buch irgendwelche Handlungsanweisungen ziehen wollen, ohne sich groß mit dem Diskurs um die Romantik zu beschäftigen. Die andere Reaktion kommt von Lesern, die eine Art Offenbarung erleben und sagen: „Ich bin auch ein Business-Romantiker, aber ich wusste das nicht oder ich hatte nicht das Vokabular dafür.“
Und genau darum geht es mir. Ich würde mich freuen, wenn der Begriff aufgewertet wird im Bereich der Wirtschaft. Es gibt ja sogar den Satz von Jeff Bewkes, dem CEO von Time Warner: „Ich bin ein Business-Mensch, ich bin kein Romantiker.“ Als ob das etwas Negatives wäre, was es zu trennen gilt von der Wirtschaft. Viele sagen auch in Meetings: „Ach Sie spinnen ja, Sie romantisieren.“ Man ist dann stigmatisiert als der Naive, der Idealist. Wir müssen uns das romantische Vokabular zurückerobern. Wenn man Sachen romantisiert, wenn man sie „schön sieht“, ist das eine positive Tugend. Das sollten wir uns nicht rauben lassen.
Haben Sie denn die Hoffnung dass eine zweite Epoche der Romantik auf uns zurollt?
Ich hoffe es. Und ich finde, man sieht schon erste Anzeichen davon. Ich glaube es gibt diese Sehnsucht, die zwar eher aus dem Marketingbereich kommt, sich aber langsam auch in den Unternehmen niederschlägt. Mal sehen, ob es für eine ganze romantische Bewegung reicht.
Dieses Interview erschien ursprünglich in Human Resources Manager.