Vorteil Mensch
Inspiration, Intuition, Intimität – und nicht zuletzt Empathie, das sind Fähigkeiten, die für die Arbeit der Zukunft eine wichtige Rolle spielen, findet Tim Leberecht.
Wenn es um Effizienz, um reine Optimierung geht, werden wir nicht mit Maschinen mithalten können. Ein maximal effizientes Unternehmen wird ein maximal unmenschliches Unternehmen sein. In Frankreich begann Lidl jüngst damit, künstliche Intelligenz (KI) einzusetzen, die ihre Anweisungen direkt per Kopfhörer ins Ohr von Warenhausarbeitern spricht. Von dieser Art von robotischem Taylorismus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einer komplett automatisierten Organisation, die per Blockchain vorbestimmte „Smart Contracts“ ausführt, ohne jegliche Intervention von Menschen.
Bleibt für Menschen nur noch das Kreative?
Wenn alles, was effizient gemacht werden kann, von Maschinen noch effizienter gemacht werden wird, bleibt für uns Menschen nur die Arbeit, die schön gemacht werden muss. Diese Arbeit umfasst die zutiefst menschlichen Qualitäten, die sich eben nicht an KI delegieren lassen: Inspiration, Intuition, Intimität – und nicht zuletzt Empathie. Wir Menschen können irren und wirren, mitleiden und leiden – Maschinen nicht. Wie wir Dinge tun, zeichnet uns aus: mit Achtsamkeit, Hingabe oder Liebe. Kein Wunder, dass es bereits Empathy Indexes gibt, und Jack Ma, Gründer des chinesischen Internetkonzerns Alibaba, den „Liebesquotienten“ zur neuen unternehmerischen Kennzahl ausgerufen hat.
Auf den Marktplätzen der Zukunft werden die Extreme gewinnen: auf der einen Seite die superalgorithmischen Plattformen à la Amazon, auf der anderen Seite die Exzentriker, die sich nicht kopieren und schon gar nicht berechnen lassen – sprich: eigensinnig und einzigartig sind. Wenn KI prognostizieren kann, was wir kaufen und wen wir lieben werden, wenn die Grenzen zwischen Analyse, Prognose und Manipulation verschwinden, dann wird das Menschsein, mit all seinen Unberechenbarkeiten und Unstimmigkeiten, zum Alleinstellungsmerkmal. Im neuen Maschinenzeitalter ist nur noch das Nichtoptimierte, Imperfekte authentisch. Mit anderen Worten: die eigene Marke, die den Daten mühsam abgetrotzte eigene Geschichte, die eigene Kultur. Für etwas zu stehen wird nicht nur für Unternehmen und Manager, sondern für alle Erwerbstätigen zur entscheidenden Kernkompetenz.
Die Soft Skills von gestern sind die Hard Skills von morgen. Dazu zählt insbesondere auch die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Welten zu wandeln: zwischen Tradition und Disruption, analoger und digitaler Welt, menschlicher und künstlicher Intelligenz. Arbeit wird multimodaler, flexibler, virtueller und schnelllebiger: Wir werden an Stabilität und Kontinuität verlieren, aber dafür an Ideen- und Identitätenreichtum gewinnen. In projektbasierten Pop-up-Netzwerken oder auch in der Gig Economy werden wir mehr und öfter Beziehungen – auch mit KI – eingehen und wieder lösen. Wir werden weniger Kontrolle, dafür aber mehr Wirkungsebenen haben.
Neben Programmierkenntnissen brauchen wir eine Erziehung des Herzens, um diesen Veränderungen nicht nur kognitiv zu begegnen, sondern auch emotional und spirituell. Künstler, Seelsorger und Geisteswissenschaftler sind auf diese neue vielschichtige Realität besser vorbereitet als Buchhalter und Analysten.
Bereits jetzt entstehen Philosophie-Beratungsfirmen wie Strategy of Mind oder ReD Associates, und Techfirmen wie IBM haben damit begonnen, Dichter, Drehbuchschreiber und Psychologen einzustellen. Auch Seelsorger, Coaches und Therapeuten stehen hoch im Kurs, und es ist zu erwarten, dass ihre Bedeutung noch zunehmen wird, wenn sich ganze Industrien und Berufsgruppen sowie das Konzept traditioneller Erwerbstätigkeit auflösen. Die große Herausforderung, und zugleich die große Chance, wird dann sein, menschliche Arbeit radikal anders zu definieren und uns alternative Quellen von Sinn und Identität zu erschließen.
Unternehmen können dabei entscheidend mitwirken: Indem sie früh aufklären, den oft unheimlichen Technologie-Jargon in zugänglichere Sprache übersetzen und Menschen schon heute ermöglichen, ihre beruflichen Identitäten vielfältiger zu gestalten und sich durch disziplinfremde Projekte oder firmenexterne Praktika ständig aufs Neue auszuprobieren. Der Profi der Zukunft wird immer wieder Amateur sein.
Unternehmen werden auch in ihrer Beziehung zu ihren Mitarbeitern immer mehr zu Plattformen. Es ist nicht verwunderlich, dass Firmen dann nur noch über eine übergreifende Vision inspirieren und einen Zusammenhalt schaffen können. Wirkungsvoll wird diese, wenn sie unmittelbar an die individuelle Vision der Mitarbeiter geknüpft ist. Die Berliner Designfirma IXDS beispielsweise sieht sich als „entrepreneurial platform“ und experimentiert damit, ihre Angestellten Rolle und Projekte selber wählen zu lassen, und das auch noch im Rahmen einer Vier-Tage-Woche.
Das eigene Leben aus Eigenantrieb nicht nur produktiv, sondern sinnerfüllt zu gestalten, innerhalb oder außerhalb von Unternehmen, jenseits des Jobs oder sogar ganz ohne Erwerbstätigkeit – das wird die wichtigste Arbeit der Zukunft werden.
Dieser Artikel erschien in der Future Board Sonderausgabe der WirtschaftsWoche zum Thema Künstliche Intelligenz.