Warum das Prinzip Menschlichkeit Politik „machen” sollte
Es gibt "keine Wahrheit im Business ohne Business Romantik," schreibt Alexandra Hildebrandt
Bedrohte Spezies
Wer in Unternehmen und Organisationen wirksamen Einfluss nehmen möchte, muss die interne Mikropolitik kennen und braucht Bündnispartner und Allianzen. Neben den festgeschriebenen und sichtbaren Regeln gibt es eine Vielzahl informeller Regeln und Verhaltensnormen.
In ihrem aktuellen Buch „Herausforderung Karriere” zeigt Cornelia Edding, wie wichtig es ist, dass vor allem Frauen das Kräftefeld derjenigen kennen und beeinflussen sollten, die an Entscheidungen beteiligt sind.
Es dominieren bei ihr Begriffe wie Kampf und Konkurrenz: Etliche Beispiele werden dafür angeführt, wie sich frau im Berufsleben gegen die „Bedrohung” vorwiegend männlicher Kollegen „durchkämpfen” muss.
Um sie auf den „rechten” Weg zu bringen, entwickelte Edding folgende Fragen zum mikropolitischen Handeln, die sich frau im Zusammenhang ihrer genutzten und ungenutzten Möglichkeiten stellen kann, und die hier allgemein und gekürzt wiedergegeben werden:
• Was erlaubt die eigene Position im Unternehmen?
• Welche fachlichen Kompetenzen werden eingesetzt?
• Ist die Bereitschaft vorhanden, strategisch/taktisch zu handeln und günstige Gelegenheiten und Handlungsspielräume zu „nutzen”?
• Wie werden die eigenen Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen eingebracht?
• Wird über den eigenen unmittelbaren Arbeitsbereich und die Organisation hinaus geschaut?
• Wie werden eigene Netzwerke, Bündnisse bzw. Komplizenschaften, die einem gemeinsamen Ziel dienen und Verbindungen auf Zeit sind, gepflegt und entwickelt?
• Werden Regelungen und Prozesse im Unternehmen selbst „ausgenutzt” (!), um Einfluss zu nehmen?
• Wie kann selbst politisch „taktiert” und die Fäden im Hintergrund gezogen werden?
• Wie werden die eigene Persönlichkeit und die besonderen Leistungen/Fähigkeiten sichtbar „präsentiert”?
• Wen geht das eigene Vorhaben etwas an?
• Wer könnte sich angesprochen fühlen und Unterstützung geben?
• Wo sitzt die „Konkurrenz”?
Wie Darwin das weibliche Denken beeinflusst
Je mehr „frau” sich mit dem Karrierebuch von Cornelia Edding beschäftigt, desto deutlicher wird ein Menschenbild, das wie bei Darwin im Dienst der Konkurrenz und des Kampfes steht, bei dem „man” nur überleben kann, wenn man sich diesen Spielregeln auch als Frau unterwirft.
Das ist auch auffällig in aktuellen Medienberichten über „Karrierefrauen”: So ergänzt der SPIEGEL-Beitrag über Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Edding-Vorlage:
Ihr Erfolg, schreiben die Autoren Markus Feldenkirchen und Gordon Repinski, beruhte immer auch darauf, „dass sie einen Tick forscher, frecher, dreister war, dass sie selbstbewusster auftrat als ihre Konkurrenten” (!).
Sie hatte sich so imposant selbst inszeniert, wie es Cornelia Edding „Karrierefrauen” rät – und wie es wohl im „inszenierungsaffinen Geschäft der Politik” üblich war und ist. Von der Leyen griff zu, wo sich echte Profilierungschancen geboten haben:
„Und doch wirkte es gelegentlich, als schielte sie bei allem, was sie tat, bereits auf den nächsten Karriereschritt, auf das noch größere, noch prestigeträchtigere Ministerium.” (DER SPIEGEL 7/2016, S. 26 ff.)
Die SPIEGEL-Autoren hinterfragen in ihrem Beitrag den Hang zur (Selbst-)Inszenierung, weil Show eben auch „ein solides Fundament” braucht, das in der Politik die Glaubwürdigkeit ist.
Der darwinsche Ansatz in der gegenwärtigen Managementliteratur, die vielfach von Frauen aufgegriffen wird, hat zuweilen etwas Erkältendes, obwohl vieles gut und richtig ist, etwa Management by Madonna.
Keine Wahrheit im Business ohne Business Romantik
Es braucht mehr als nur Strategien und Ratschläge gegen die „Konkurrenz”. Rollenspiele im Leben und im Job sind wichtig, weil wir durch sie lernen, wer wir noch werden könnten. Die Rolle des Erfolgsmenschen auszuprobieren, hat etwas Wunderbares, wie der Business-Experte Tim Leberecht in seinem Buch “Business Romantiker” zeigt.
Die Lektüre seines Plädoyers für ein anderes Wirtschaftsleben ist wie das Fleisch, das um die Knochen der gängigen Managementliteratur gelegt wird, weil es zugleich sichtbar macht, dass unsere Seele auch verletzlich und melancholisch ist, dass wir Verständnis für Fremde und Fremdheit brauchen, für „Verrücktes und Vorübergehendes”.
Wahrheit im Business braucht auch Romantik im Business, die für Leberecht mit Überzeugung, Sorgfalt und einer fast schon übertriebenen „Aufmerksamkeit für Details” verbunden ist.
Das ist auch für weitsichtige Vertreter der Generation Y von besonderer Bedeutung: So plädiert auch Jonathan Sierck in seinem Buch „Fü(h)r Dich Selbst: Mit dem richtigen Mindset zum Erfolg” für einen achtsamen Umgang mit nebensächlichen Details und Dingen, die helfen, schwierige Zeiten zu bewältigen.
Besonders interessant ist jene Textstelle in seinem Buch, in der er auf eine Unterhaltung mit einem Freund in Houston verweist, der ihm den Ratschlag gab, sich auch den winzigsten Aufgaben mit größter Sorgfalt zu widmen.
Warum ist das allen so wichtig, die sich heute mit Sinnfragen in der Lebens- und Arbeitswelt beschäftigen?
Weil sie die Bedeutung von „social brain” erkannt haben, einem Begriff, den Neuroforscher in den USA prägten. Denn aus neurobiologischer Sicht sind Menschen auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.
Kern ihrer Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben – und sich nicht in Konkurrenz und Kampf zu verlieren.
Das Prinzip Menschlichkeit
Das natürliche Ziel sind soziale Gemeinschaften und gelingende Beziehungen mit anderen Individuen. Bereits 2006 hat der Molekularbiologe, Neurobiologe und Arzt Joachim Bauer nachgewiesen, dass nicht Konkurrenz, sondern Kooperation das Erfolgsgeheimnis der Evolution ist.
Für professionelle Führung, die Gestaltung eines guten, kollegialen Klimas und Effizienz arbeitete er drei wesentliche Aspekte heraus, die das Prinzip Menschlichkeit ausmachen:
1. Die Basis von Motivation als Grundhaltung ist die übergeordnete gesellschaftliche Sinnhaftigkeit dessen, was geleistet wird.
2. Maßgeblich für die vom einzelnen Beschäftigten aufgebrachte Motivation hier und jetzt ist die aktuelle Gestaltung von Beziehungen am Arbeitsplatz.
3. Gute Beziehungen am Arbeitsplatz, Fairness und erlebtes Vertrauen haben nicht nur motivierende, sondern auch eine gesundheitsstabilisierende Wirkung.
Wo in Gemeinschaften mit Liebe und Anerkennung gespart wird, kann von Nachhaltigkeit keine Rede sein, denn es wird viel Energie durch Konflikte unterschiedlichster Art vergeudet.
Vor diesem Hintergrund sollte auch das Thema Business Romantik gesehen werden. In seinem gleichnamigen Buch zitiert Tim Leberecht denn auch den Philosophen Robert C. Solomon, der es so ausdrückt:
„Marktsysteme rechtfertigen sich nicht durch Effizienz und Profite, sondern weil Menschen zuallererst soziale und emotionale Wesen sind, denen Märkte eine gleichgesinnte Gemeinschaft für den sozialen Austausch bieten.”
Romantiker suchen Möglichkeitsräume für außergewöhnliche Erfahrungen – allerdings haben sie als Geschäftsleute auch im Blick, dass sie die Grundlagen für eine Karriere legen müssen:
„Es ist eine Sache, eine Abfolge von transzendenten Momenten zu erleben – als wären sie Perlen an einer Schnur -, eine andere, ein Leben aufzubauen, in dem es vorwärtsgeht und das einem erzählerischen Ganzen entspricht”, so Leberecht.
Im Fokus stehen keine Momente der Niederlage, an denen sich Menschen messen, sondern reflektierende Fragen:
• Haben wir unseren Job ehrenvoll erledigt?
• Haben wir bei anderen Menschen eine Saite berührt, die an jedem Tag nachklingt?
• Ist es uns gelungen, auf dem Markt eine teilnahmsvolle Gemeinschaft zu finden?
• Sind wir nicht nur mit unseren Bedürfnissen, sondern auch mit unseren Wünschen in Berührung gekommen? Haben wir Charakter bewiesen?
• Waren wir unserer ganzen Identität von Anfang bis Ende treu?
Die „Herausforderung Karriere” hat bei den Business Romantikern, die Frauen und Männer gleichermaßen betreffen, mit der Suche neuer Perspektiven zu tun, den Wert unserer Intuition und Emotionen zu erkennen, „Konflikt und Reibung zu begrüßen und unsere eigene Menschlichkeit zu zelebrieren”.
Literatur:
Cornelia Edding: Herausforderung Karriere. Strategien für Frauen auf dem Weg nach oben. Carl-Auer Verlag Heidelberg 2016, Heidelberg 2016.
Jonathan Sierck: Fü(h)r Dich Selbst: Mit dem richtigen Mindset zum Erfolg. Münster 2014 (Edition Octopus).
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne Verlag, München 2006.
Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Droemer Verlag München 2015.