Warum Engagement die Miete ist, die wir als Bewohner des Planeten zahlen müssen
Wie sich Profit und Prinzipien vereinbaren lassen
von Dr. Alexandra Hildebrandt
„Lasst euch nie einreden, dass es nicht die Aufgabe des Business sei, die großen Fragen der Menschheit anzugehen. Denn das und nichts anderes ist seine Aufgabe.” Sagte einst Anita Roddick (1942-2007), die Gründerin des Kosmetikhandelsunternehmens The Body Shop.
Ärger war für sie ein nie versiegender Quell für Energie und Kreativität. Eine Verpackung, ein Wort, ein Gedicht oder Einflüsse aus einer fremden Branche – immer fragte sie sich, wie das in Beziehung zur eigenen Arbeit steht und dem eigenen Unternehmen nachhaltig nutzen könnte.
Begonnen hat sie als Einzelperson – dann kamen immer mehr Menschen hinzu, die mehr gesucht haben als einen bloßen Job, die Lebenssinn finden wollten in dem, was sie taten.
Anita Roddick ist eine typische Business-Romantikerin im Sinne von Tim Leberecht (Jahrgang 1972), der Marketingchef bei der Design- und Architekturagentur NBBJ in San Francisco und Mitglied des Werterats beim Weltwirtschaftsforum in Davos ist.
Die Zukunft gehört seiner Ansicht nach jenen, die beides sind:„analytisch und kreativ”, die auch Gefühle und Fantasie für elementar im Business halten und neben dem Erklärbaren auch Platz für das Unerklärliche geben. Die besten Führungspersönlichkeiten „müssen im Herzen Business-Romantiker sein”.
Das Buch von Tim Leberecht „Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben” (Droemer Verlag, 2015) ist ein wichtiger Kompass für all jene, die Wegbereiter/innen wie Anita Roddick heute schmerzlich vermissen. Es ist Inspirationsquelle und Navigationshilfe zugleich – ganz im Sinne von Anita Roddick:
„Geh Deinen Weg! Geh ihn so, wie du das fühlst! Du lebst nur einmal. Tu es einfach.”
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„Sie war wie mein Business Angel!”
Interview mit Anke Paulußen, die zehn Jahre am Aufbau der Marke THE BODY SHOP in Deutschland und Österreich beteiligt war. Die Marketing- und Kommunikationsexpertin, die für viele internationale Markenartikler und Werbe- und Eventagenturen gearbeitet hat, widmet sich heute verstärkt Themen und Projekten im Bereich Corporate Social Responsibility.
_ Frau Paulußen, wann und wo haben Sie Anita Roddick kennengelernt?
Das war 1996 in Hamburg. Damals sollten dort alle Frauenhäuser geschlossen werden. Anita erfuhr davon, setzte sich in den Flieger und dann ging alles wie immer sehr schnell: Es wurde eine Pressekonferenz organisiert, betroffene Frauen eingeladen, ein Produkt in allen sieben Hamburger THE BODY SHOPs ausgewählt, dessen Profit ausschließlich nur an die Frauenhäuser ging.
Durch den erwirtschafteten Gewinn konnte die Schließung der Frauenhäuser verhindert und sogar langfristig unterstützt werden. Das Unternehmen diente eher als Plattform, gab ihr die Power zu zeigen, dass es um die Geschichten und Themen rund um die Menschen geht, die diese Erde gemeinsam bewohnen.
_ Empowerment bedeutete für Anita Roddick nicht nur, dass jeder selbstverantwortlich handelt, sondern auch an der Schaffung und Gestaltung einer ethischen Unternehmenskultur mitwirkt. Wie wurde sie konkret gelebt?
Wenn sie einen Raum betrat, war sie vollkommen präsent. Sie hatte die Gabe, mit Menschen sofort einen persönlichen Kontakt herzustellen und eine innere Verbindung aufzubauen. Jeder konnte sich gleichermaßen einbringen und wurde ernst genommen.
Mitarbeiter wurden nach ihren Fähigkeiten und Stärken eingesetzt. Wir durften vorschlagen, mit welcher Arbeit wir zum Erfolg beitragen möchten. Sie war nicht nur intuitiv, sondern auch strategisch, denn sie wusste genau, wer wohin passt.
Alle, die mit ihr in Kontakt kamen, wurden zudem von ihrer Vision angesteckt, von ihrer Begeisterung und ihrem Mut, Dinge einfach anzupacken. Das führte dazu, dass wir aus Überzeugung das Gleiche wie sie tun wollten. Es fühlte sich nicht an wie „arbeiten”, sondern eher wie ein gemeinsames Projekt mit sinnvollen Aufgaben.
Auch selbst probierte sie Dinge aus, ohne sich vorher den Profit auszurechnen. Trotzdem hatten wir Erfolg! Oder gerade deshalb.
_ Welche Auswirkungen hatte das auf die Kunden?
Sie spürten in den Stores ebenfalls die „positive Ausrichtung”. Sie kamen gerne hierhin, weil alles so anders war und sie auch Geschichten rund um die Produkte „gespürt” haben.
_ Den vorwiegend von Männern geprägten Kopfgeburten der Managementmethoden stellte sie eine integrative, weibliche Form des Miteinanders, der Vernetzung und Kommunikation entgegen. Das wirksamste Mittel dafür war das Geschichtenerzählen. Was war ihr Inhalt?
Sie erzählte von Menschen, die sie vor Ort besuchte, von Ritualen in der Körperpflege, aber auch über das, was gebraucht wurde. So ließ sie wertvolle Inhaltsstoffe aus benachteiligten Kulturen in die Produkte fließen und erreichte mit der immer größer werden Geschäftsidee eine neue Lebensgrundlage für viele Menschen. Die Geschichten hinter den Produkten gehörten genauso zur Marke wie ihr Name.
_ Was war Ihre Aufgabe im Unternehmen?
Aufgrund meines werbefachlichen Hintergrunds wurde ich als Marketing Managerin eingestellt. Damals gab es erst 50 Stores in Deutschland. Ich habe in den zehn Jahren viele Aufgaben auch im Bereich Retail, Kampagnen, Events, Presse und Corporate Management dazu bekommen.
Mit zunehmendem Unternehmenswachstum wurde auch das Aufgabengebiet ständig erweitert und internationaler. Als ich The Body Shop verließ, hatten wir von Düsseldorf aus 120 Stores in Deutschland und Österreich eröffnet.
_ Achtete das Unternehmen neben den nachhaltigen Produkten auch auf andere Nachhaltigkeitsdimensionen?
Ja, es war in allen Bereichen nachhaltig aufgestellt. Es ging nicht in erster Linie um nachhaltige Produkte, denn die waren selbstverständlich. Es gab beispielsweise auch keine Verpackungen und keine Werbung. The Body Shop Foundation (TBS) hat das Geld lieber in weltweite Human Rights- und Community-Projekte fließen lassen. TBS hatte allein 54 langfristig angelegte „Hilfe durch Handel”-Projekte.
Es wurden in verschiedenen Ländern, aus denen Inhaltsstoffe bezogen wurden, über Jahre bis heute Projekte initiiert, die den Frauen mehr Selbstvertrauen geben, weil sie einer Arbeit nachgehen konnten. Auch Bildungsprojekte in Schulen und Kindergärten wurden finanziert.
_ Was passierte, wenn sich ein Produkt in einem Land nicht gut verkauft hat?
Dann wurde es dennoch weiter angeboten, denn es ging darum, die Abnahmemenge der Inhaltsstoffe und die langfristige Partnerschaft zu erhalten, nicht um möglichst hohen Gewinn. Es hat sich irgendwie immer alles ausgeglichen, so dass es kein Verlustgeschäft war
_ Inwiefern hat sich das Unternehmen nach dem Tod der Gründerin verändert?
Ein Jahr vor ihrem Tod hat Anita ihr Unternehmen verkauft. Sie sagte mir, das Baby ist groß, sehr groß geworden, und sie habe immer weniger zu sagen in ihrem eigenen Unternehmen. Da es nun börsennotiert war, ging es dann immer mehr um Profit. Es lag ihr sehr daran, mit dem Geld aus dem Verkauf ihre Human Rights-Aktivitäten zu unterstützen. Noch heute führt die Anita Roddick Foundation die Projekte weiter.
_ Was bedeutete dieser Wandel für Ihren weiteren Lebensweg?
Ich sollte damals selbst entscheiden, ob ich zum Zeitpunkt des Verkaufs das Unternehmen verlasse oder dann über L’Oréal weiter für The Body Shop arbeiten möchte. Sie sagte mir: „Anke, geh in die Welt und teile das, wovon wir selbst so überzeugt waren und andere Menschen überzeugt haben. Nicht nur THE BODY SHOP ist groß geworden, Du bist es auch!”
_ Was bleibt?
Ich habe erlebt, was es heißt, gern morgens aufzustehen und im Team eine starke Vision zu teilen. Ich trage das einfach in mir und kann gar nicht anders, als Begeisterung und Inspiration mit Kollegen, Geschäftspartnern und Kunden zu teilen. Wie könnte ich nach einer solchen Erfahrung jemals in einem Unternehmen arbeiten, wo es nichts zu bewegen gibt? Passion is your Key to success!
Vielen Dank für das Gespräch.