Warum wir intuitiv richtig entscheiden
Das romantische Unternehmen erlaubt Mitarbeitern und Führungskräften Entscheidungen auch „gegen besseres Datenwissen" zu treffen - nur aus dem Bauch heraus.
von Alexandra Hildebrandt
Wann wir treffsicher sind
Die Intuition muss heute Grundlage für Entscheidungen sein, fordert der österreichische Unternehmer, Expeditionsleiter und Coach Stefan Gatt, denn das Unbewusste greift auf „tausendmal mehr Informationen zurück, als sie der Kopf und damit die Ratio zur Verfügung haben”, weil wir unbewusst viel mehr Informationen wahrnehmen als auf bewusstem Wege.
Doch eine Garantie, dass man damit immer richtig liegt, gibt es nicht, weil Intuition auch sehr emotionsgeladen ist und deshalb nach Ansicht des Psychologen Prof. Henning Plessner fehleranfällig sein kann. Wenn man als Experte in Gebiete eindringt, in denen man kein Fachmann ist, kann es geschehen, dass sich fachliche Unerfahrenheit, Selbstüberschätzung und Begeisterung negativ auswirken.
Neuere Studien bestätigen, dass unsere Intuition nur in den Bereichen treffsicher ist, in denen wir über viel Erfahrung verfügen. Das zunehmende Tempo der Veränderung macht heute vieles unvorhersehbar, was uns nach neurowissenschaftlichen Forschungen mehr Angst bereitet als das „Negative”, das wir uns „ausmalen” können und dadurch scheinbar mehr Kontrolle haben. Wenn es aber ums Unbekannte geht, sind wir oft hilflos, weil es uns an Wissen und Erfahrungen fehlt. Dadurch schwindet auch die Verlässlichkeit der Intuition als Mittel der Beurteilung.
In der Wirtschaftswelt hat Intuition schon lange einen festen Platz. Jack Welch, ehemaliger CEO von General Electric, sagte einmal: Gute Entscheidungen treffe man aus dem Bauch. Die Maxime des ehemaligen Skiläufers und Unternehmers Willy Bogner war: „Vertraue deinem Gefühl”.
Eine Studie der Economist Intelligence Unit aus dem Jahr 2014 ergab, dass Intuition für Vorstände der wichtigste Ratgeber ist. Frank Thelen, Gründer und Investor („Die Höhle der Löwen”), sagte im Interview mit BRAND EINS, dass er seinen Job seit 20 Jahren macht und deshalb auf einem soliden Gerüst aufbauen kann:
„Und man hat eine Nase, um den Mist zu riechen, und einen Bauch, um zu fühlen, ob es passt.” Er steigt mit Intuition in Projekte ein und steigt mit Intuition wieder aus.
Arianna Huffington, Mitbegründerin der Huffington Post, bezeichnet ihre Intuition als eine Stimmgabel, die uns in Harmonie hält. Man verliert allerdings den Zugang zu ihr, wenn man zu wenig schläft. Das ist nicht nur schlecht für die Konzentrationsfähigkeit und das Gedächtnis, sondern auch für die emotionale Intelligenz, das Selbstbewusstsein und unsere Empathiefähigkeit.
„Schlaf trägt dazu bei, Gefühle ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn es also um eine wichtige Entscheidung geht, sollten wir sie im wahrsten Sinne des Wortes überschlafen”, schreibt James Lovelock, der zu den 100 führenden Intellektuellen der Welt (Prospect) gehört. Der unabhängige Wissenschaftler ist Umweltaktivist und Urheber der Gaia-Theorie, die die Erde als lebendes und sich entwickelndes System betrachtet, das nach einer Selbstregulierung strebt, so dass das aktuelle Leben auf ihr gedeihen kann.
In seinem Buch „Die Erde und ich” plädiert er nicht nur für einen bewussteren Umgang mit unserer Zukunft, sondern widmet sich auch der Intuition und ihrer Bedeutung für sein Leben:
Zu Beginn seiner Karriere war er davon überzeugt, dass Wissenschaft alles sei. Im Lauf seines Lebens wurde ihm jedoch bewusst, was von Wissenschaftlern erwartet wird: Sie sollen der Inbegriff der Rationalität sein! Seine Denkweise ist aber vorwiegend nicht rational, sondern intuitiv. Erfindungen sind für ihn intuitive Antworten auf Bedürfnisse.
Das Gefühl, das Richtige zu tun
Intuition (lat. intuitio, etwas unmittelbar ansehen) führt zur Erkenntnis der Dinge, ohne dass man sich bewusst wird, „wie” sie erkannt werden, sie lässt sich rational nicht begründen. Laut Duden ist Intuition „das unmittelbare, nicht diskursive, nicht auf Reflexion beruhende Erkennen, erfassen eines Sachverhalts oder eines komplizierten Vorgangs”.
Intuition ist also das Gefühl, das Richtige zu tun. In einer unübersichtlichen Zeit und offenen Gesellschaft, in der alte Gewissheiten immer mehr in Frage gestellt werden, ist eine Rückbesinnung darauf nötig und nützlich. Sie kommt nicht einfach aus dem Nichts, sondern ist hart erarbeitet. Auch den Zufall, der nach Louis Pasteur „auf den vorbereiteten Geist” trifft, kann nur nutzen, wer zuvor auf ihn zugearbeitet hat.
Arianna Huffington kritisierte vor einigen Jahren, dass in der Ausbildung angehender Führungskräfte kaum etwas über Intuition gelehrt wird, obwohl später bei unternehmerischen Entscheidungen Bauchentscheidungen dominieren. Das ändert sich gerade: „Die Intuition feiert ein Comeback”, schreibt das manager magazin im Mai 2017, wo das Thema mit dem Buch des Markenberaters Martin Lindstrom „Small Data” verbunden wird: Lego statt Flipcharts, Murmeln statt Powerpoint. Das Spielerische kehrt zurück: Manager bauen in Führungskräftetrainings mit Legosteinen, um komplexe Prozesse besser zu bewältigen.
Small Data erklärt Kausalitäten, denn die kleinen Dinge des Lebens senden ständig Signale über unser Verhalten und unsere verborgenen Bedürfnisse – erst dadurch entstehen Innovationen. Das Unbewusste, so die Begründung der Verantwortlichen dieser Small Data-Seminare, würde dadurch Wissen aus dem Unbewussten hervorbringen, das die Manager sonst nicht abrufen würden. Wer intuitiv vorgeht, kommt zu ganz anderen Ergebnissen, so die Begründung. Es wird wieder verstärkt auf den Bauch gehört, wenn man sich länger mit einem Thema beschäftigt.
Das romantische Unternehmen schafft nach Ansicht des Business-und Managementexperten Tim Leberecht Raum für Intuition, Kreativität und Mehrdeutigkeit. Es erlaubt Mitarbeitern und Führungskräften Entscheidungen auch „gegen besseres Datenwissen” (Finanzierung, Erlösoptimierung, Steigerung der Fallzahlen und Kostensenkung) zu treffen – nur aus dem Bauch heraus.
Weiterführende Literatur:
Stefan Gatt: Survival-Handbuch Führung. Aus Extremsituationen für den Berufsalltag lernen. Carl Hanser Verlag, München 2016.
Alexandra Hildebrandt: Kopf oder Bauch? Wie wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Droemer Verlag München 2015.
James Lovelock et al.: Die Erde und ich. Taschen GmbH, Köln 2016