Weniger Kollaboration, mehr Denken!
Ob Open Office, Open Innovation oder 360 Grad Feedback: wer heute erfolgreich sein will, muss ein Teamplayer sein. Aber dieser Kollaborationswahn beraubt uns der Fähigkeit alleine zu denken – und somit zu führen.
von Tim Leberecht
Co-Creation, Co-Working, Co-Living: das Arbeiten im Kollektiv gilt derzeit als Nonplusultra, Alleingänge oder Einzelgänger als verstaubt. Ob Open Office, Open Innovation oder 360 Grad Feedback: wer heute erfolgreich sein will, muss ein Teamplayer sein. Aber dieser Kollaborationswahn beraubt uns der Fähigkeit alleine zu denken – und somit zu führen.
Es gibt sie oft, diese Meetings ohne Ergebnis. Stattdessen heisst es dann: „Wir machen einen Slack-Channel auf!“ Slack hat ehemals steifen Unternehmens-Prozessen zweifelsohne mehr Leben und menschliche Wärme eingehaucht. Slack ist einfach anzuwenden, eine tolle Alternative zu E-Mails und sonstiger Projekt-Management-Software und funktioniert bestens für kleine Projekt-Teams verschiedener Unternehmensabteilungen.
Und dennoch bleibt ein Unbehagen. Slack, Asana und andere web-basierte Kollaborationsplattformen sollten doch die Arbeit erleichtern und weniger ablenken. Aber sind sie nicht heute eher unfreiwillig zu dem geworden, was sie eigentlich bekämpfen wollten? Ich jedenfalls bin komplett eingedeckt mit aktiven, inaktiven, vergessenen, verwaisten Slack-Channels. Ich verbringe fast den ganzen Tag mit Kollaborieren.
Kollabieren wir uns zu Tode?
In seinem neuen Buch Digitale Erschöpfung argumentiert der Autor Markus Albers, dass Kollaborations-Plattformen mit ihrer Ausrichtung auf Flexibilität, Dialog und Austausch uns als Arbeitskräfte eher überlasten statt entlasten. Wir sehen uns einer kaum noch zu bearbeitenden Flut an Online-Konversationen ausgesetzt, die wir gar nicht mehr verarbeiten können – auch weil wir der Einladung zur Dauer-Kollaboration nur allzu gerne folgen. Wir tun dies unter anderem aufgrund der sogenannten „Fear-Of-Missing-Out“ (FOMO), der Angst, etwas zu verpassen und nicht dabei zu sein, wenn scheinbar Wichtiges passiert. Die Folge ist pausenlose Erreichbarkeit – mit dem digital-kommunikativen Anspruch, auch jederzeit und allerorten Nachrichten zu checken und zu antworten. Albers warnt: „Wir kollabieren uns zu Tode.“
Als Marketingleiter eines IT-Unternehmens machte ich einst mit dem Launch der Social-Media-Plattform Yammer eine einschlägige Erfahrung. Zuerst brachte so eine Plattform für die interne Unternehmenskommunikation positive Effekte. Prozesse wurden sichtbarer, die Kommunikation transparenter; jeder war daran beteiligt, wie sich das Unternehmen extern und intern positionierte. Aber schon bald führte dieses Übermaß an Partizipation zu einem erheblichen Überdruss: statt willkommener Transparenz nun Kommunikationsstau, auch bei den geringsten Anlässen. Einmal wurde bei unserem Yammer-Stream dann sogar das Management in Debatten über die Produktpalette unserer Cafeteria hineingezogen.
Schweigen ist Gold. Aber gerade diese manchmal notwendige Zurückhaltung ist es, die in unserer hyper-kommunikativen Umgebung als Zeichen der Schwäche, fehlender Identifikation mit dem Unternehmen, oder schlimmer noch, als Inkompetenz ausgelegt wird.
Der Imperativ des Kollaborierens führt unweigerlich zu einer beruflichen Deformation. Zweifelsohne ist Kollaboration, wenn effektiv gedacht und gemacht, ein Grundmerkmal erfolgreichen Wirtschaftens. Aber manch Experte warnt bereits vor dem „Fluch der Kollaboration.“ Kollaborationsplattformen werden zu oft als Alibi benutzt, um durch all den Austausch, Dialog und Zusammenarbeit zu vermeiden, sich eindeutig entscheiden und positionieren zu müssen.
„Wenn Dir andere folgen sollen, dann lerne alleine mit Deinen Gedanken zu sein.“
Unter dem sog. „Action Bias“ versteht man in der Psychologie die Neigung, auch dann zu handeln, wenn das Handeln voraussichtlich nutzlos, möglicherweise sogar schädlich ist. Viele Führungskräfte betrachten aktives Herangehen als Führungsstärke, als „unternehmerisch“, obgleich Passivität und Geduld oft die bessere Option wären. Sie wollen Entscheidungen treffen und Wandel beschleunigen, so ihr Selbstverständnis, doch manchmal ist es eben besser, einfach nur Kurs zu halten – und nichts zu tun.
Um dies auf Kollaborationsplattformen zu übertragen: auch hier zeigt sich ein sogenannter negativer „Bias“: der gefühlte Zwang kollaborieren zu müssen anstatt den Mut zu haben, eine eigene Idee zu verfolgen. Individualität kann Kraft rauben, anstrengend sein, wir müssen tatsächlich selben denken, anstatt gemeinschaftlich und in Teams. Aber es ist genau diese Kraft, diese Fähigkeit, die uns der Kollaborationswahn raubt.
„Einsamkeit ist das Markenzeichen eines echten Leaders“, hat es William Deresiewicz brillant formuliert. „Wenn Dir andere folgen sollen, dann lerne alleine mit Deinen Gedanken zu sein“. Die Fähigkeit, selbst zu denken, in Abgeschiedenheit und Ruhe, ermöglicht es einer Führungskraft, eine eigene Vision zu entwickeln, auch mal anders und quer zu denken, anstatt einfach nur den breiten Konsens zu bedienen.
In einem Artikel für die Sloan Management Review beklagt Duncan Simester „Die vergessene Kunst des Denkens in Organisationen“. In großen Unternehmen ist alles auf Effektivität ausgerichtet. Die unangenehme, ja vielleicht sogar zeitraubende, auf den ersten Blick ineffektive individuelle Idee ist rein strukturell schlichtweg nicht willkommen. Für Simester ist die Frage „Wie finden Führungskräfte Zeit zum Nachdenken?“ eine der wichtigsten strategischen Herausfordeungen für Unternehmen.
Führungskräfte können diese Zeit finden, indem sie besser delegieren und sich aus dem Mikro-Management heraushalten. Sie müssen erkennen, welche Gespräche wirklich wichtig sind. Die Bestrebung vieler Unternehmen, durch Achtsamkeits-Maßnahmen Raum für Meditation und Reflexion zu schaffen, soll dies ermöglichen. Der Software-Provider SAP zum Beispiel hat ein sehr gefragtes Achtsamkeits-Programm etabliert (inklusive eines „Head of Mindfulness“), das Mitarbeitern des Unternehmens dabei hilft, „einen klaren Kopf zu bewahren“.
Gemeinsam alleine denken
Ob wir sie nun Achtsamkeitsmaßnahmen nennen oder anders: Tatsache ist, dass Unternehmen Räume schaffen müssen, die die Möglichkeit bieten, „gemeinsam allein“ zu sein, eine Formulierung, die auf die MIT-Professorin Sherry Turkle zurückgeht. Andere Formate, die solche Erfahrungen und Erlebnisse schaffen, sind z.B. „Stille Dinner“ oder auch Sokratische Dialoge, ein philosophisches Debatten-Format, in dem die Teilnehmer angehalten sind, aktiv zuzuhören und die Position des vorherigen Diskutanten zu wiederholen, bevor sie zu deren Kritik ansetzen.
Darüber hinaus wird nun sogar im tech-durchdrungenen Silicon Valley vermehrt nach Philosophen gefragt, die uns erklären sollen, wie Technik und Philosophie, bessere Performance und effektives Denken Hand in Hand gehen. Immer mehr Unternehmen entstehen, die wie z.B. Strategy of Mind Philosophie anbieten, um ihren Kunden dabei zu helfen, bessere Ergebnisse durch besseres Denken zu erzielen.
Besseres Denken bedeutet kritisches Denken. Kritisches Denken erlaubt uns, nicht unreflektiert wie Pawlowsche Hunde auf Ereignisse zu reagieren. Es hilft uns, als Führungskraft vorausschauend und strategisch zu handeln, und eben auch den Mut zu haben einmal nicht zu handeln.
Dazu müssen wir aber Distanz schaffen zu all dem, was uns am Denken hindert – zum hektischen Ablauf aller Ereignisse, die jede Sekunde auf uns einprasseln und die wir meist unreflektiert vorbeirauschen lassen. Wir brauchen schlichtweg Zeit. Zeit, die wir gewinnen können, indem wir weniger kollaborieren.
Dieser Beitrag erschien im englischen Original zunächst auf Inc.com.