Wir brauchen eine neue Kultur des Verlierens
Die Kommunikations- und Medienbranche kultiviert unsere Erfolgsgeschichten, sagt Buchautor Tim Leberecht. Und deshalb kann sie auch dabei helfen, Verlieren wieder attraktiv zu machen.
von Tim Leberecht
Ich habe 14 Jahre in Kalifornien gelebt und nun von Berlin aus den Wahlausgang in den USA mit großer Erleichterung beobachtet. Allerdings erweist sich Trump, wie erwartet, als der Inbegriff des schlechten Verlierers. Seine Botschaft ist einfach: Wir gewinnen, und alle anderen sind “Loser”. Trump darf nicht verlieren. Also lügt er die drohende Niederlage einfach weg und erklärt einen Fake-Wahlsieg. “Ich hätte auf jeden Fall gewonnen, wenn sie die Stimmen nicht gezählt hätten”, so hat es ihm die Satirikerin Elizabeth Windsor in den Mund gelegt.
Trumps Verhalten ist ein guter Anlass, uns selbst zu überprüfen: Sind wir gute Verlierer? Wie besessen sind wir eigentlich vom Gewinnen? Wenn wir jeden Anflug von “Trumpismus” im Kern bekämpfen wollen, müssen auch wir uns vom Gewinnen als einziger Erfolgsformel verabschieden. Wir müssen eine Gesellschaft schaffen, in der das Verlieren nicht dazu führt, zum “Verlierer” abgestempelt zu werden.
Verlieren ist in deutschen Unternehmen immer noch tabu
Das beginnt mit dem Bereich unseres Lebens, in dem wir das Gewinnen und Verlieren – beziehungsweise die Angst davor – tagtäglich erleben: in der Wirtschaft. Gerade die Kommunikations- und Medienbranche ist mit dem Gewinnen und Verlieren beinahe täglich konfrontiert. Der leistungsorientierte Wettbewerb gilt als das Maß aller Dinge. Das führt im Extremfall zu einer “Gewinnen um jeden Preis”-Mentalität, in der Verlieren keine echte Alternative mehr ist – wie bei Trump.
Viele Unternehmen versuchen sich seit geraumer Zeit am “Fail fast, fail forward”, das ihre Manager von einem ihrer zahlreichen Silicon Valley-Trips mitgebracht haben. Aber man muss hier zwischen Fehlerkultur und Verlieren unterscheiden. In deutschen Unternehmen werden mittlerweile zwar eher Fehler verziehen, aber Verlieren, seien wir ehrlich, ist immer noch tabu. Da können Firmen noch so viele “Fuckup-Nights” hosten: Verlieren ist nur dann okay, wenn es wieder zum Gewinnen führt. Fehlermachen ist wie ein Schlag ins Gesicht, Verlieren liegt wie ein Stein im Magen.
Die Kommunikationsbranche kultiviert unsere Erfolgsgeschichten
Wir brauchen daher auch hierzulande eine neue Kultur des Verlierens, und Medienschaffenden und Kommunikationsexperten kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Sie repräsentieren mit ihren Kampagnen unsere gesellschaftlichen Werte, und oft unterliegen sie dabei dem Diktat der Positivität, einem Schneller-Höher-Weiter, das “bigger than life” ist und in dem Optimismus und ständige (Selbst-)Optimierung, gerade auch im pausenlosen Vergleich mit anderen in den sozialen Medien, die Erfolgsgaranten sind. Da ist dann kein Platz für sogenannte “negative Emotionen” wie Trauer, Melancholie oder Einsamkeit. Das Ideal des schönen Lebens sieht anders aus und gaukelt uns vor, dass es solche dunklen Seiten einfach nicht gibt. Wer diese aber verleugnet, der verweigert vielen anderen Spielarten des Lebens ihre Existenzberechtigung und zahlt indirekt auf die Diktatur der Gewinner ein, die letztlich auch einen Donald Trump ermöglicht.
Die Medien- und Kommunikationsbranche erfindet und kultiviert unsere Erfolgsgeschichten – die Narrative, die Sieger von Verlierern trennen. Diese Geschichten differenzierter zu gestalten, Raum zu lassen für Zwischentöne und auch Geschichten von Verlierern zu erzählen, würde dabei helfen, das Verlieren nicht nur salonfähig zu machen, sondern als das anzuerkennen, was es ist: die Grundkonstante unserer Existenz.
Leider akzeptieren wir zu kritiklos Wettbewerb als Grundwahrheit unseres Lebens. Gewinner gewinnen. Verlierer verlieren. Entweder man setzt sich durch und kommt weiter, oder man bleibt auf der Strecke. Aber Wettbewerb müssen wir nicht als naturgegeben hinnehmen, als ein “Survival of the fittest”, in dem nur der Stärkste gewinnt. Ebenso wichtig ist Kooperation.
Alleine in Deutschland sind rund 17 Millionen Menschen ehrenamtlich tätig und kooperieren zum Wohl der Gemeinschaft. Immer mehr Unternehmen gehen Partnerschaften ein, im Bereich der Open Innovation, insbesondere aber auch mit Wettbewerbern, um das System für alle und dann auch mittelbar für sich selbst zu verbessern.
Wettbewerb wirkt sich auch nicht nur positiv auf Leistungen aus. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass intrinsische Motivation, also der innere Antrieb, Leistung zu erbringen aus dem Glauben an die Sache heraus, wirksamer ist als materielle Anreize oder die Angst vor negativen Konsequenzen. Nicht umsonst hat Google in seinem vielzitierten Forschungsprojekt “Aristoteles” zur Leistungsfähigkeit von Teams psychologische Sicherheit als wichtigstes Element identifiziert. Diese psychologische Sicherheit entsteht nicht in einem Klima von gnadenloser Konkurrenz, sondern in einer Umgebung, in der Vertrauen dadurch gebildet wird, dass Mitarbeiter Schwächen zeigen dürfen.
Ein menschlicher Arbeitsplatz lässt Raum für Traurigkeit
Deshalb sollten Unternehmen an ihren Arbeitsplätzen – Office oder Home Office – eine Kultur schaffen, die ermöglicht, was die US-amerikanische Sozialpsychologin Susan David “emotionale Agilität” nennt: Die Fähigkeit, die eigenen Emotionen nicht zu regulieren, sondern zuzulassen, dass wir von ihnen auch einmal überwältigt werden.
Ein menschlicher Arbeitsplatz ist nicht der, der uns immer glücklich macht, sondern einer, der uns erlaubt, traurig zu sein. Eine menschliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der wir verlieren dürfen, ohne “Verlierer” zu sein.
Die Kommunikations- und Medienbrache kann erheblich dazu beitragen, das Bild einer solchen Gesellschaft zu entwerfen und zu verwirklichen.
Tim Leberecht ist Co-Founder und CEO des House of Beautiful Business und Autor des Buches “Gegen die Diktatur der Gewinner. Wie wir verlieren können, ohne Verlierer zu sein”, das im Droemer-Verlag erschienen ist. Leberecht ist Autor, Unternehmer und Business-Vordenker mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in Führungspositionen. Unter anderem war er lange Jahre als CMO bei Frog Design tätig.
Dieser Artikel erschien in der W&V.